Schlusslicht

2. Mai 2022

Wer bin ich – und bin ich das wirklich?

Schlusswort von Wulf Rohwedder

Es gibt Tage, da zweifelt man an sich selbst. Und es gibt solche, an denen andere an einem zweifeln. So geschah es mir vor einigen Wochen. Der Personalausweis näherte sich dem Ablaufdatum, der Reisepass hatte selbiges sogar überschritten, zudem stand der Umtausch des Papier- zum Kartenführerschein an.

Also mussten erst einmal biometrische Passbilder her. Die fielen so aus, dass sie sich auch als Fahndungsfoto gut eignen würden: Das Interesse der Bevölkerung wäre sicherlich groß, dass die darauf abgebildete Person schnellstmöglich aus dem Verkehr gezogen würde. Dann noch im Internet informiert, was man sonst noch benötigt: Personalausweis, gültiger Reisepass beziehungsweise Kinderreisepass oder Geburtsurkunde.

Vor Ort sah es dann etwas anders aus: Neuerdings würde man Personalausweis und Geburtsurkunde benötigen, wurde mir mitgeteilt. Nur so könne man feststellen, ob der Antragsteller auch wirklich so heiße, wie es in den bisher gültigen Personaldokumenten behauptet würde.

Also ging es noch einmal nach Hause, um die Geburtsurkunde herauszusuchen. Der Ärger wurde durch eine gewisse Unsicherheit überlagert: Was wäre, wenn ich  nun plötzlich feststellen müsste, dass ich seit mehr als einem halben Jahrhundert ganz anders heiße, als ich dachte? Und was würde ich dann machen? Müsste ich Freunde, Familie und Arbeitgeber über den unbeabsichtigten Identitätsbetrug informieren? Neue Visiten-, Kredit- und Bankkarten bestellen? Oder wäre es einfacher, gleich offiziell den falschen Namen anzunehmen?

Zum Glück befreite mich die inzwischen aufgefundene Geburtsurkunde von diesen Sorgen: Dort fand sich derselbe Name, der seit Jahrzehnten auf Kinder- und Schülerausweis, Reisepass, Führerschein und diversen Rabattkarten verzeichnet ist. Das war einerseits eine große Erleichterung, andererseits aber auch eine gewisse Enttäuschung – nahm sie mir doch die Chance, unter meiner wahren Identität ein neues Leben anzufangen. Aber wenigstens brauche ich kein neues Türschild.

Wulf Rohwedder