Kultur & Unterhaltung

20. Dezember 2021

Bedrohte Schönheit

Die giftige Einbeere ist die „Blume des Jahres 2022“

Sie ist eine Schönheit auf den zweiten Blick. Eine, die sich immer rarer macht – und deshalb umso schützenswerter ist: die vierblättrige Einbeere. Mit ihrer Wahl zur „Blume des Jahres 2022“ möchte die Loki Schmidt Stiftung auf die außergewöhnliche Pflanze und ihren bedrohten Lebensraum aufmerksam machen. In sechs Bundesländern steht die Einbeere bereits auf der Roten Liste gefährdeter Arten – auch in Hamburg. In der Hansestadt wurde vor zwei Jahren nur noch ein einziger Wuchsort im Wohldorfer Wald gefunden; vor zwölf Jahren wurden bei Kartierungen immerhin noch drei Wuchsorte entdeckt.

„Im 19. Jahrhundert kam die Pflanze auch im Duvenstedter Brook, im Flottbektal und in den Harburger Bergen vor“, berichtet Dr. Kristin Ludewig von der Loki Schmidt Stiftung. Der Rückzug der Einbeere liegt darin, dass sie sich nur sehr langsam ausbreitet, weil sie pro Trieb nur eine einzelne Beere ausbringt, was die Verteilung der Samen sehr einschränkt. Zudem wächst sie gern im Schatten historisch gewachsener, leicht feuchter Laubwälder. Doch auch die sind durch forstwirtschaftliche Nutzung, die vermehrte Anlage von Nadelholz-Monokulturen und Entwässerung der Wälder bedroht. Nur noch drei Prozent der deutschen Waldfläche sind historisch alte Wälder, die in den vergangenen 200 bis 300 Jahren ununterbrochen Waldstandorte waren – wie der Wohldorfer Wald. Er gibt einer großen Artenvielfalt von Pflanzen, Pilzen und Insekten langfristig einen Lebensraum.

Gegen krankheitserregende Pilze schützt sich die Einbeere durch giftige Pflanzenteile, die für Menschen, Tiere, Insekten und Spinnen schädlich, sogar tödlich, sind. Die blaue Beere verlockt zum Naschen, zumal sie auf den ersten Blick mit einer Blaubeere zu verwechseln ist, die jedoch nur in Kiefernwäldern heimisch ist, in denen die Einbeere nicht zu finden ist. Ohnehin ist die blaue Beere kein Genuss. „Ich habe sie im Selbstversuch probiert – sie ist sehr bitter“, erzählt Dr. Kristin Ludewig. Für eine Vergiftung müsste man mehrere Handvoll Beeren verzehren; zuvor würde der Körper allerdings mit Erbrechen, Durchfall und Schwindelanfällen reagieren.

In früheren Zeiten wurden der Pflanze sogar Zauberkräfte zugesprochen. Als „Pestbeere“ wurde sie in Kleider eingenäht, in der Hoffnung, dass sie vor dem „schwarzen Tod“ schützen möge. Im Mittelalter diente sie zur Wundbehandlung, bei rheumatischen Beschwerden und zur Abtötung von Kopfläusen. Heute kommt sie in der Homöopathie zur Behandlung von Kopf- und Gesichtsschmerzen, Augenreizungen durch grippale Infekte und bei grünem Star zum Einsatz.

Wer sich umfassend über die „Blume des Jahres 2022“ informieren möchte, kann eine Broschüre mit faszinierenden Aufnahmen und Texten, einen aktuellen Fotokalender oder eine Samenpostkarte mit Wildblumen für Garten und Balkon bestellen. 2022 wird es Führungen zur Entdeckung der Einbeere, sowie Vorträge zur Förderung wilder, alter Wälder geben. Termine finden sich auf der Homepage. Zudem sammelt die Loki Schmidt Stiftung zum Schutz der bedrohten Einbeere und ihren Lebensraum Spenden, um einen Wald im Alten Land kaufen und ihn langfristig für den Naturschutz zu sichern.

Claudia Blume