Rundblick

27. November 2020

Der Arzt mit der goldenen Trompete

Waldgespräch mit Jazz-trompeter Abbi Hübner

Und wieder wurde das Sofa in den Tangstedter Forst gebracht. Das zweite Waldgespräch stand an. Diesmal hatten wir Abbi Hübner eingeladen, und er sagte spontan zu.

Thomas Staub, Duvenstedter Kreisel:
Eines vorweg, wir sprechen uns mit Du an, denn schließlich bist Du mein Onkel. Schön, dass Du Dir die Zeit genommen hast für unser Waldgespräch. Onkel Abbi, Du bist Arzt, Autor und Musiker – worüber wollen wir als Erstes sprechen?

Abbi Hübner: Wir sollten zunächst über den Jazz-Musiker Abbi Hübner reden, der einfach populärer ist als der Arzt für Allgemein- und Arbeitsmedizin,  Dr. Albert Hübner, und der Autor Dr. Albert Hübner. Aber zunächst noch ein kleiner, nicht ganz ernst gemeinter Hinweis:
Mich haben alle Kollegen geschätzt: die Ärzte den Autoren, die Musiker den Arzt, die Autoren den Musiker.
Leider gibt es die Band Abbi Hübner Low Down Wizards nicht mehr. Wir haben uns im September diesen Jahres offiziell aufgelöst – „BLUE AND BROKEN HEARTED“, wie der Song heißt. Nein, aufgelöst ist nicht das richtige Wort, es steht den anderen Musikern frei, ohne mich als „Low Down Wizards“ weiterzuspielen. Wir gehen ja nicht im Streit auseinander.
Ich bin raus – nicht nur durch die pandemieverursachten Einschränkungen unserer Lebensbedingungen, sondern auch getrieben durch den, infolge fortgeschrittenen Alters, eingetretenen Schwund meiner musikalischen Kräfte.
Wenn ich mir heute Musik anhöre, die wir vor 30 oder 40 Jahren mit unserer Band eingespielt haben, wird mir einfach klar, dass ich auf diesem Niveau nicht mehr spielen kann. Ich habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass ich den eigenen Ansprüchen an meine Musik nicht mehr gerecht werden kann.
Bevor mir Freunde oder andere Musiker wohlwollend zu verstehen geben, dass es besser wäre aufzuhören, sage ich mir das lieber selbst – vorher.

Staub:
Früher hast Du täglich auch zu Hause Trompete gespielt. Heute immer noch?

Hübner: Ich habe die Trompete nicht an den Nagel gehängt. Es waren gerade keine Nägel zur Hand.
Selbstverständlich spiele ich immer noch und übe auch mit meinen 87 Jahren – aber nicht mehr täglich.
Als „dienstältester“ Hamburger Jazz-Musiker lasse ich mir das auch nicht nehmen.

 

Abbi Hübner, der älteste Hamburger Jazz-Musiker, ließ es sich nicht nehmen, auch im Tangstedter Forst Hot Jazz zu spielen.

Staub:
Ich habe mal einen Satz von Dir gelesen: „… da sprang mich die Jazzmusik aus einem alten Radioapparat wie ein wildes Tier an und hat mich nie wieder losgelassen.“ Was meintest Du damit?

Hübner: Erfreulicherweise haben es die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg verstanden, ihre Musik mit Hilfe der Soldatensender B.F.N. und A.F.N. – British Forces Network und American Forces Network – in ihren Besatzungszonen bekanntzumachen. So war die Radiostation des B.F.N. in den Räumen der Kleinen Musikhalle stationiert. Wir konnten die für uns neue Musik hören und waren fasziniert, enthusiastisch und begeistert. Mir genügte es nicht, die Musik nur zu konsumieren, sondern ich wollte selbst aktiv werden und Jazzmusik spielen. Als Instrument kam für mich nur die Trompete oder das Kornett in Betracht und Gesang.
Armstrong war mein großes Idol und ich übte zu Hause – wenn ich allein war – die „Armstrongsche“ Tongebung ein.
Ich hatte da gewisse günstige Voraussetzungen und war schon während meiner Schulzeit ein guter Imitator. Es geht auch heute noch die Sage, der Mathematiklehrer wäre, als er gerade die Klasse betreten wollte und hörte, wie ich ihn drinnen vor den Schülern imitierte, wieder umgekehrt und weggegangen, weil er meinte, er wäre schon da!
Die Verantwortlichen des  B.F.N. haben relativ schnell begriffen, dass man über die Jazzmusik im Handumdrehen aus ehemaligen Feinden Freunde machen konnte. Immerhin waren ja unsere Väter und Großväter während zweier Weltkriege überaus bemüht gewesen einander umzubringen. Der NWDR war damals leider weit davon entfernt, sich der Jazzmusik entsprechend anzunehmen.  In Hamburg bildeten sich überraschend schnell eigene Jazzbands wie das „Ma­gnolia Dance Orchestra“, die „Riverside Jazzband“ und die „South Jazzband“. Alle drei fanden Gelegenheit sich der Öffentlichkeit zu präsentieren; „Magnolia“ in der Taverne des Winterhuder Fährhauses, „Riverside“ im „Handtuch“ des Wörmannhauses in der Neuen Rabenstraße und die „South Jazzband“ bei „Rascher“ im Dovenfleet. So lernten wir in unserer Jugend die Jazzmusik kennen. Die Musik befriedigte unser angeborenes Form- und Gestaltungsbedürfnis, beendete die Suche nach der verlorenen Zeit und half uns, unsere Identität zu finden. Wir Hamburger Jazzmusiker der ersten Generation nach dem Zweiten Weltkrieg sind alle „Kinder des BFN“ mit seinem „Anglo-German Swing Club“. Die Musiker der nächste Generation konnten sich durchaus schon an uns orientieren.

Staub:
Wie bist Du zu deiner ersten Trompete gekommen? Zur damaligen Zeit kostete die bestimmt ein Vermögen.

Hübner: Nach den bisherigen Ausführungen dürfte klar sein, dass gebrauchte Musikinstrumente damals hoch im Kurs standen. Eine neue Trompete kam aus finanziellen Gründen sowieso nicht in Frage. Kurz vor Weihnachten stellte mir meine Mutter, die den Wunsch ihres Sohnes schon singen konnte, ihre Weihnachtsgratifikation in Höhe von 65 DM zur Verfügung und ich klapperte zusammen mit meiner Freundin Ramino Kiethe die Musikalienhandlungen der Innenstadt ab. „Aber Albert, keinen Pfennig mehr!,“ rief uns Mutter noch hinterher. Bei Otto Tittmann im Neuen Steinweg wurden wir fündig. Er hatte eine gebrauchte Trompete in Kommission, die genau 65 DM kosten sollte, die meine Mutter erübrigen konnte. Ein Wink des Schicksals? Ein Wink des Schicksals! Ich versprach schnellstens mit meiner Mutter wiederzukommen, aber Otto Tittmann beruhigte uns: „Das ist jetzt deine Trompete, ich bin noch lange im Laden und ihr könnt in aller Ruhe wiederkommen!“ Das klang beruhigend, aber ich war erst entspannt, als das Geschäft abgewickelt war und wir in der Straßenbahn in Richtung Wandsbek saßen. Die Trompete war und blieb das schönste Weihnachtsgeschenk meines Lebens.

Staub:
In Jazz-Kreisen bekamst Du den Namen „Der Arzt mit der goldenen Trompete“. War der Berufswunsch „Arzt“ von Anfang an das Ziel Deines Studiums?

Hübner: Reiner Zufall. Ich war seinerzeit wohl der ärmste Student der BRD. Ich musste als sogenannter „Werkstudent“ mein Studium selbst finanzieren – mein Vater war mit 43 Jahren an einem Hirntumor gestorben. Ich arbeitete in allen möglichen Berufen: als Packer bei der Post und Tellerwäscher eines Restaurants im Hauptbahnhof, als Fahrer bei einer Spedition, als Teppichklopfer und Warenhausdetektiv, als Hilfsarbeiter im Hoch- und Tiefbau, bei einem Gärtner, als Sportlehrer in einem Berglehrlingsheim, als Vorlesungsassistent und – das wurde schicksalshaft – als Hilfspfleger im Krankenhaus Wandsbek.
Nach einem Vierteljahr verließ ich diese Klinik mit der erklärten Absicht: „Ich werde Arzt!“
Bis dahin hatte ich Deutsch, Geschichte und Sport studiert. Journalist oder Lehrer schwebten mir als Berufsziel vor, aber jetzt Arzt?
Innerhalb von sechs Jahren absolvierte ich das Medizinstudium mit der Note „gut“. Ich arbeitete in den Krankenhäusern Wandsbek und Barmbek und trat 1970 dem Ärztlichen Dienst der Behörde für Inneres bei, dessen Leitung ich nach zehn Jahren, also 1980, übernahm.

Staub:
Hast Du auch für den NDR gearbeitet?

Hübner: Ja, mit weitreichenden Folgen: 1984 fragte mich Michael Naura, der Leiter der Jazzredaktion, ob ich nicht Lust hätte, für seine Abteilung Sendungen zu produzieren. „Frei Schnauze“, wie er sich ausdrückte, soll heißen, ich durfte machen, was ich wollte. Ich schrieb also die Texte der Sendungen, bestimmte, welche Musik gespielt werden sollte und sprach die Texte auf Konserve. Das ging über ein Jahrzehnt so; ich produzierte die Sendereihen „Trompeter im Schatten des Giganten“, „Hot JAZZ“ und „Jazz Classics“. Schon nach der ersten Sendereihe fragte der Leiter des Oreos Verlages bei mir an, ob  ich nicht das „Armstrong Buch“ schreiben wolle, dessen Veröffentlichung man gerade auf dem Plan habe. Ich wollte und das von mir verfasste „Armstrong Buch“ erschienen 1994. „LOUIS Arm­strong, sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten“ lautet der vollständige Titel.
Werner Burkhardt und Michael Naura wählten es im „Hamburger Abendblatt“ bzw. in „Die Zeit“ zum Sachbuch des Jahres. Dann rief mich Hark Bohm an und wollte mich und meine Band für seinen Film „Der kleine Staatsanwalt“ verpflichten, an dem er gerade herumbastelte. Ich kannte Bohm damals nicht und hielt die Pläne, die er mir unterbreitete für Hirngespinste eines Hochstaplers in der Rolle eines Filmregisseurs. Ich sagte trotzdem zu und war überrascht, dass mir der NDR kurz darauf unser Engagement bestätigte. So kamen wir zum Film. Ich durfte mich sogar in einer winzigen Szene selber darstellen.

Staub:
Viele Leser in unserer Region Oberalster haben Dich live erlebt. Entweder in Hamburg im „Cotton Club“, auf dem Feuerschiff oder beim Oldtimertreffen in Duvenstedt. Welcher Auftritt war für Dich in Deiner Musikerlaufbahn am bedeutendsten?

Hübner: Unvergesslich ist, wenn du mit den großen, zumeist „schwarzen“ Musikern des Jazz zusammenspielen darfst und den Eindruck gewinnst, dass es ihnen genau so viel Spaß macht wie dir. Ikey Robinson, der große Banjospieler von Jabo Smith, schrieb mir einst einen Brief, den er mit „To my friend and brother Abbi Hübner“ adressierte. Da sind mir die Tränen gekommen.

Man kann Abbi einfach sehr gut zuhören. Sein Wortwitz und seine Erfahrung machen dieses Interview einfach unvergesslich.

Staub:
Ich kann mich noch an einen Auftritt von Euch erinnern, da habt Ihr den Song „Ich bin der König im Affenstall“ gespielt. Wie kam es dazu?

Hübner: Auf dem Feuerschiff im Hafen waren ein paar Kinder zu Gast. Deren Eltern baten uns, den Affensong für die Kinder zu spielen. Sie waren kurz zuvor alle zusammen im Film „Dschungelbuch“ gewesen und der Song hatte den Kleinen ausnehmend gut gefallen. So wurde ich zum „König im Affenstall“. Und wie Du Dich sicherlich auch noch erinnerst: Unsere Version kam bei Kindern und Eltern gut an.

Staub:
Du bist ja ein richtiger Hamburger Jung. Was bedeutet Hamburg für Dich?

Hübner: Heimat. Nach der sogenannten „Ausbombung“ in Eilbek, Wandsbeker Chaussee 249, im Jahr 1943, hatte es uns für ein Jahr nach Lübeck verschlagen, aber seit 1944 sind wir wieder in Hamburg, nun in Rahlstedt ansässig. Wenn ich als Schüler von einer Klassenreise zurückkehrte und am Horizont die Kirchtürme Hamburgs auftauchten, musste ich immer ein paar Mal tief durchatmen. Und wenn ich heute mit dem Fahrrad durch Rahlstedt fahre, bedaure ich zutiefst die Menschen, die im Verlauf des Krieges aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Allerdings habe ich den Verantwortlichen sehr übel genommen, dass sie meine Oberschule, gebaut 1913, abreißen ließen, begründet mit der dünnen Behauptung, eine Instandsetzung wäre teurer als ein Neubau geworden.

Staub:
Glaubst Du, dass wir Eure Variante des Hot Jazz in 20 Jahren auch noch hören werden?

Hübner: Nein, davon gehe ich nicht aus. Wir sind uns doch einig, das ganze nächste Jahr wird nicht so sein wie vor Corona.
Und in den vergangenen Jahren wurde die Musikrichtung von der jüngeren Generation schon lange nicht mehr angenommen.

Staub:
Vielen Dank, Onkel Abbi, dass Du Zeit für unser Waldgespräch gefunden hast. Bleib gesund.

Spaß hatten wir beim Waldgespräch im Tangstedter Forst.