Rundblick

3. Dezember 2021

Revolution Train fördert die gesunde Denkweise

Interview mit Projektleiterin Patrizia Jonson

Am Anfang erzählt der Autor des Projekts, Pavel Tuma, eine kleine Geschichte. „Im Jahr 2000 nahm mein guter Freund eine Überdosis Crystal Meth. Ich war traurig über den Verlust und die Tränen einer Mutter, die es schwer hatte, mit dem Tod ihres einzigen Kindes fertig zu werden. Ich konnte nicht begreifen, warum er Drogen nahm – er bekam doch von seinen Eltern alles. Aber mit der Traurigkeit kam auch Wut und die Frage: Ist es möglich, etwas zu tun, dass das Leben Anderer vor den tödlichen Auswirkungen von Drogen schützt? Ich war mir sicher, dass die Antwort lautete: Ja, es ist möglich! Ich beschloss ein Instrument zu entwickeln, das Kinder davor schützt, einer Sucht zu verfallen. Mir war klar, dass ich einen ganz anderen Weg einschlagen musste, als es damals – und oft bis heute – üblich war.“

Im selben Jahr fertigte Pavel Tuma die ersten Skizzen des Revolution Train. Damals ahnte er nicht, dass es 15 Jahre dauern würde, bis die ersten Besucher seinen revolutionären Anti-Drogen-Zug betreten würden.

Revolution Train ist ein einzigartiges Projekt zur primären Drogenprävention und basiert auf Interaktivität und Wahrnehmung durch alle Sinne. Patrizia Johnson, Leiterin des Revolution Train, stellt das einzigartige Projekt vor.

 

Duvenstedter Kreisel:
Über welche Ausstattung verfügt der Anti-Drogen-Zug?

Patrizia Jonson: Er besteht aus sechs Waggons, vier Projektionssälen und acht interaktiven Räumen. Die Basis des Programms bildet ein multimedialer, mobiler Zug, der ein einzigartiges Umfeld für eine interaktive, erlebnisorientierte Bildung bietet. Das Ziel besteht darin, durch Einbindung aller Sinne durch 5D-Technologie höchstmöglich auf die Persönlichkeit der Besuchenden einzuwirken und so deren Sicht auf eine gesunde Denkweise und eine Prävention von Suchtverhalten effektiv und positiv zu beeinflussen. Die Räume des Zuges sind multifunktional und ermöglichen, Programme für Schulen, Familien und die breite Öffentlichkeit durchzuführen.

Duvenstedter Kreisel:
Was sind die Programmziele?

Jonson: Um dem weit verbreiteten Problem des Suchtmittel- und Drogenkonsums entgegenzutreten, wird eine geeignete Methode gewählt, die Kinder und Jugendlichen hinsichtlich der Vermittlung der von Suchtmitteln ausgehenden Gefahren und Risiken als auch der Verinnerlichung ihrer eigenen Stärken positiv beeinflussen kann, insbesondere sie darin zu stärken, sich aus eigener Überzeugung für den eigenen Körper, die eigene Gesundheit und einen überlegten Umgang mit legalen und illegalen Suchtmitteln zu entscheiden. Ziel ist, ergänzend zu bestehenden Programmen im Rahmen der primären Prävention so früh wie möglich und so effektiv wie nötig die Zielgruppe altersgerecht über Sucht und Suchtmittel zu informieren, aufzuklären, zum Nachdenken anzuregen und zu erreichen, dass sie für sich eine Lebensentscheidung vorbereiten, wenn sie einmal in eine Situation geraten, in der sie mit Suchtmitteln konfrontiert werden. Kinder und Jugendliche sind dort abzuholen, wo sie stehen.

Duvenstedter Kreisel:
Über welche interaktive und funktionelle Ausstattung verfügt der Revolution Train?

Jonson: Um zu bewirken, dass die Teilnehmenden tatsächlich angesprochen, erreicht und thematisch mitgenommen werden und ihre eigene Überlegung und Lösungsfindung nachhaltig in ihren Köpfen bleiben, wird das Prinzip des multisensorischen Erlebnisses und der Interaktivität umgesetzt. Das Programm Revolution Train basiert auf dem Prinzip des erfahrungsorientierten Lernens, bei dem unter Einsatz altersgerechter und multimedialer Darstellung, bei der möglichst alle Sinne angesprochen und im Wechsel mit aktiver Beteiligung durch Befragung, Beantwortung und Interaktionen bzw. Rollenspielen auf effektivstem Wege erreicht werden, das Thema nahegebracht und darüber aufgeklärt wird. Bei der Programmausgestaltung wurde Wert darauf gelegt, dass sich die Teilnehmenden der Geschichte nicht entziehen können, sondern die Informationen stets interessant dargestellt werden. Genutzte Instrumente zur Umsetzung sind eine reale Geschichte in einer filmischen Darstellung, die als „roter Faden“ dient und interaktive Unterbrechungen für situationsbezogene Fragen und Antworten. Der Film wird immer dann angehalten, wenn die Pro­tagonisten eine Lebensentscheidung treffen (z.B. Annehmen der ersten Zigarette, eines Joints oder Ectasy-Tabletten, Alkoholkonsum, Verhalten in Gefahrensituationen). Die Teilnehmenden müssen auf einem Fragebogen dokumentieren, wie sie sich entscheiden würden. Zudem werden Dialoge und Diskussionen als Fortsetzung der filmischen Darstellungen eingesetzt, interaktive Rollenspiele mit Bezug zu den zuvor gezeigten Sequenzen jeweils im mehrfachen Wechsel zwischen Szenen und der originalgetreu nachgestellten Umgebung samt Requisiten.

Duvenstedter Kreisel:
Handelt es sich bei den Zielgruppen um Drogenkonsumenten oder um Kinder und junge Menschen, die zur Aufklärung und Vorbeugung in den Zug kommen?

Jonson: Die hauptsächliche Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren mit jeweils altersgerecht abgestufter Wissensvermittlung und Darstellung. Das Programm ist für Kinder und Jugendliche zur Aufklärung und Vorbeugung vorgesehen.

Nachstellung einer Filmszene in einer Fabrikhalle

Duvenstedter Kreisel:
Nach Abfahrt des Revolution Train ist das Programm noch nicht beendet. Werden Eltern für das Alltagsleben ihrer Kinder besonders geschult?

Jonson: Im Schulunterricht wird das Thema Sucht und Suchtmittel vor- und nachbereitet. Die Lehrkräfte erhalten zudem ergänzende Informationen und Anregungen, wie sie den Unterricht nachbereiten können. Der Erlebnisvortrag und die eigenen Wahrnehmungen und Aufarbeitungen werden in Form von schriftlichen Arbeiten (Aufsätze, Feed­back-Schreiben) und gestalterischen Arbeiten (Bilder, Kollagen, Installationen) aufbereitet und anschließend in öffentlichen Räumen (Schulfoyer, Rathaus, Einkaufszentrum) ausgestellt. Das Erstellen und die Ausstellung der Arbeiten haben den Effekt, dass Schülerinnen und Schüler das betreffende Thema erneut vertiefen und aufarbeiten, eine Wertschätzung ihrer Arbeiten erfahren, und gleichzeitig das Thema auch der Öffentlichkeit präsentiert und diese damit konfrontiert wird.

Duvenstedter Kreisel:
Wie viele Menschen haben bereits von dem Programm profitiert?

Jonson: Das Programm haben bisher mehr als ­180 000 Personen besucht.

Duvenstedter Kreisel:
Wie finanziert sich der Revolution Train?

Jonson: Der Aufenthalt des Zuges wird aus verschiedenen Quellen finanziert: Landkreise, Städte, Privatwirtschaft, Fördermittel, Privatpersonen und Vereine.

Duvenstedter Kreisel:
Wer arbeitet für das Projekt?

Jonson: Schulsozialarbeiter, Lehrkräfte, Suchtbeauftragte und Präventionsmitarbeiter der Polizei.

Duvenstedter Kreisel:
Ist das Projekt mit Präventionsträgern vernetzt?

Jonson: Um Suchtprävention umfassend zu realisieren und im Sinne einer gemeinsamen und kooperativen Präventionsarbeit, insbesondere im Sinne junger Menschen weitestgehend Synergieeffekte zu ermöglichen, baut die Konzipierung des Revolution Train auf die Kooperation mit möglichst allen Präventionseinrichtungen. Das Konzept des Revolution Train agiert für lokale Einrichtungen als Türöffner und weckt bei den Teilnehmenden Interesse, das Thema Sucht und Suchtmittel zu vertiefen. Dies beinhaltet insbesondere auch das Aufzeigen von (frühzeitigen) regionalen Hilfsangeboten und Interventionsmöglichkeiten des sozialen Umfelds. Daher ist die Integration des Revolution Train in bestehende lokale Präventionsprojekte oder ergänzend dazu in Kooperation einer angebotenen Realisierung ein wesentliches Kernziel.

Duvenstedter Kreisel:
Welchen Fahrplan hat der Revolution Train?

Jonson: Der Zug ist ungefähr 220 Tage im Jahr unterwegs. Nach Deutschland kommt er jeweils einmal im Frühjahr (Mai, Juni) sowie im Herbst (September, Oktober).

Duvenstedter Kreisel:
Erfährt das Projekt viel Unterstützung?

Jonson: Das Projekt wird in Tschechien, Deutschland und der Slowakei von einer breiten Basis unterstützt. In vielen deutschen Städten und Landkreisen ist es bereits zu einem festen Bestandteil lokaler Präventionmaßnahmen geworden. Gegenwärtig laufen Vorbereitungen für den Bau einer deutschen Version des Zuges als Revolution Train 2.0.

 

Das Interview führte Anja Junghans-Demtröder