Kultur & Unterhaltung

17. April 2025

Der Fetzer war schon wieder hier!

Frühe Begegnungen mit Rüdiger Nehberg

Damals, als ich ihn kennenlernte, war er noch praktizierender Konditor, Abenteurer, Buchautor und auf dem Weg zum Überlebenskünstler. Ich brauchte Infos für einen Omo-Fluss-Trip in Äthiopien, den Rüdiger längst hinter sich hatte. Aus einem Besuch in seinem Haus in Wandsbek wurden mehrere. So kam man sich näher und entdeckte die gemeinsame Lust an Abenteuern und dem Interesse am Leben von Naturgemeinschaften in kaum erschlossenen Gebieten der Erde. Anfang 1983 planten wir einen Marsch entlang der Skelettküste. Wir wollten der Länge nach durch die Namib-Wüste marschieren. Rüdiger sollte am Kunene, an der Grenze von Angola starten, ich in Swakopmund, einem Küstenort von Namibia – jeweils ohne Wasser. Trinkwasser wollten wir uns mit einem Gerät der Firma Autoflug aus dem Atlantik destillieren und damit beweisen, wie in einer Küstenwüste überlebt werden könnte.
Aus dem Vorhaben wurde nichts. Rüdiger schlug sich allein durch den Urwald Venezuelas zu den Yanomami-Indios durch. Ich machte mich zu den Huarani (Auca) im Urwald Ecuadors auf. Doch das nur nebenbei.

Lebkuchen und Knusperhäuschen
In lebhafter Erinnerung bleibt meiner Familie und mir das Lebkuchenbacken und Basteln von Knusperhäuschen in Rüdigers Backstube jeweils am 6. Dezember. Das war vielleicht ´ne Gaudi! Nach getaner „Arbeit“ ließ er plötzlich eine Wäscheleine von der Decke herab und demonstrierte, wie mit einer Liane von Baum zu Baum zu schwingen sei. Tarzan hätte es nicht besser vormachen können. Hernach wurde meiner Frau Christiane eine Python, oder war es eine Anakonda?, um den Hals gehängt. Die Last der Riesen-Würgeschlange drückte sie fast zu Boden. Unsere Kinder amüsierten sich köstlich. Rüdiger hielt sich einige dieser Exemplare in einem separaten Kellerraum und schlief bisweilen nachts bei ihnen – so zur Entspannung. Oder für in Hamburg fehlendes Regenwaldfeeling.

Für unsere Kinder wurde es im schummrigen Nebenraum der Backstube nun richtig abenteuerlich: Rüdiger erzählte von seinen unglaublichen und doch wahren Erlebnissen auf reißenden Flüssen, in brennendheißen Wüsten oder dampfenden Urwäldern. Marc (10) und Leif (7) klebten förmlich an seinen Lippen. Es ging auf Mitternacht zu, die Kids konnten ihre Augen nur noch mit Mühe aufhalten. Doch sie wollten ihn hören, den genialen Erzähler, den großartigen Kommunikator, den bewundernswerten Abenteurer, der sich schon damals besonders für das Leben indigener Völker einsetzte, und den Überlebenskünstler, der im Laufe seines gefährlich-spannenden Lebens so erstaunlich viele Schutzengel hatte.

Für Marc war klar: Das Schulpraktikum mache ich bei Konditormeister Nehberg in der Backstube. Und so kam es auch. Noch heute denkt er mit Vergnügen an die Wochen des Formens mit Marzipan zurück. Für die Firma Carl W. Kopperschmidt GmbH, deren Geschäftsführer ich seinerzeit war, formte er ein fast einen Meter großes Feuerwehrauto aus Marzipan für das Jubiläum eines Angestellten – der war nämlich bei der Freiwilligen Feuerwehr.
Rüdiger, Freunde nannten ihn „Rüdi Rastlos“, plante eine nächste Atlantiküberquerung. Wir besprachen den Aufbau des Floßes. Klar war, dass ich ihm über Kopperschmidt eine Plexiglaskuppel als Ausguck formen ließ und für seinen Törn spendete.

Regenwürmer und Käfer schmackhaft machen
In bleibender Erinnerung sind mir die frühen Besuche in seinem Refugium Rausdorf. Das war, als er die 500 Jahre alte Mühle gerade übernommen hatte. Er war schon „Sir Vival“ und ließ an Überlebenstrainings teilhaben, oder organisierte solche. Zu diesen Gelegenheiten machte er Regenwürmer und Käfer schmackhaft, schwamm im Eiswasser des Rausdorfer Mühlenteichs, setzte sich ´ne Vogelspinne aufs Haupt oder hantierte mit Giftschlangen. Doch all diese spektakulären Aktionen waren für Rüdiger Mittel zum Zweck. Klar, er war auch ein verflixt guter Darsteller. Um etwas zu bewegen, ist das eben erforderlich. Tatsächlich jedoch war er durch und durch Philanthroph. Als solcher wollte er Menschen helfen – und zwar dort, wo er sie leiden sah. Menschen helfen mit ganzem Einsatz, das war sein Credo als Menschenrechtsaktivist. Bis zum Schluss. Bis zum letzten Atemzug. Mit Gründung des gemeinnützigen Vereins TARGET schuf er mit seiner ebenfalls sehr engagierten Frau Annette Weber und dank Spendengeldern zwei Hospitäler – eines in Brasilien und eines in Äthiopien. Durch die widrigen Umstände in Äthiopien ist das Hospital zur Zeit leider in desolatem Zustand. War es doch auch Anlaufstelle und Hilfe für von Genitalverstümmelung bedrohter Mädchen und Frauen. In der Tat bleiben uns sein nimmermüder und erfolgreicher Einsatz im Kampf gegen diesen schrecklichen und gefährlichen Eingriff am weiblichen Körper in Erinnerung – und so vieles mehr. Doch darüber mögen andere Weggefährten berichten.

Jetzt bist du nicht mehr da, alter Knabe, und wir sind traurig. Dein Werk aber lebt weiter. Es ist in guten Händen! Mir bleibt nur ein Bye-Bye, Rüdiger, Freund und Kamerad! Auch mir läuft die Zeit davon. Vielleicht begegnen wir uns einmal wieder, im Himmel über der Wüste? Wir werden uns Geschichten erzählen von damals an prasselnden Lagerfeuern. Das wäre doch prima! Und ich rufe Dir zu, was Du uns ins Gästebuch geschrieben hast: „Der Fetzer war schon wieder hier!“ Wer weiß?

Wolf-U. Cropp

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