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27. Februar 2024

Du gesagt: kurz!

Kurzgeschichte von Marlis David

Gelangweilt schlenderte ich an der Binnenalster entlang, betrachtete die vorbeihastenden Menschen in der Hoffnung, ein bekanntes Gesicht zu entdecken. Aus dem Alsterpavillon erklang leise Musik und sofort war da auch wieder das Gesicht meiner Mutter. Ich sah sie aufspringen, auf mich zueilen, glaubte den Hauch ihres Parfüms zu riechen – aber sie war es nicht. Traurig wendete ich mich um und ging hastigen Schrittes auf die andere Straßenseite. Meine Mutter war schon vor acht Jahren verstorben, aber ich konnte mich nicht damit abfinden. Immer war die Erinnerung so lebendig, als wäre es gestern gewesen.

Ziellos ging ich den Jungfernstieg entlang, betrachte die Auslagen der neuesten Mode. Dabei spiegelt sich für einen kurzen Moment im Schaufenster mein Gesicht, das mir richtig fremd vorkam. Mit den langen Haaren und dem Haarband erkannte ich mich selbst nicht wieder.

Kurzentschlossen steuerte ich auf das nächste Friseurgeschäft zu. „Wir sind völlig ausgebucht!“, sagte mir ein junges Mädchen mit lilagefärbten Haaren und angeklebten Wimpern, die ihr jeglichen Blick versperrten. Es gibt sicher noch andere Friseure in der Innenstadt, ging es mir durch den Kopf. Noch dreimal bekam ich die gleiche Aussage. Nun ja, dann eben nicht, dachte ich enttäuscht und begab mich in Richtung Hauptbahnhof, ging hindurch und bog in den Steindamm ein. Hier herrscht zu jeder Tageszeit ein buntes Treiben aller Altersgruppen, Hautfarben und Geschlechter.

Gleich am Anfang der Straße erblickte ich ein Friseurgeschäft. Fünf Treppenstufen hoch, ein lauter Glockenklang und schon stand ich im Laden. Auf allen Plätzen saßen junge Männer mit eingeseiften Bärten und kurz geschorenen Haaren. Erst jetzt bemerkte ich, das ich bei einem Herrenfriseur gelandet war. Ein schon betagter, sehr kleiner, älterer Herr im weißen Kittel fragte mich in gebrochenem Deutsch: „Was Du hier machen willst?“

„Meine Haare kürzer schneiden!“ Er nickte, bot mir einen Platz an und fing sofort an, sich an meinen langen Haaren zu erfreuen.

So schnell, wie er sie gekürzt hatte, konnte ich gar keinen Einwand hervorbringen. Er erzählte mir, er sei aus der Türkei, aber schon lange in Deutschland und sein Geschäft hätte er schon 20 Jahre. Seine dunklen Augen strahlten mich an, als er voller Stolz und mit verklärtem Blick von seinem Geschäft schwärmte.

„Die vielen, jungen Männer dort“, er zeigte auf die besetzten Stühle, „lassen alles bei mir machen: Haare waschen und schneiden, Bartrasur und Gesichtskosmetik. Fingernägel und Füße auch“, sagte er stolz. „Müssen die denn nicht arbeiten?“, fragte ich naiv. Er zog die Schultern hoch und lächelte.

Als er fertig war, hatte ich kaum noch Haare auf dem Kopf und sah aus wie ein Junge. Erschrocken schaute ich in den Spiegel – oh mein Gott!!!

„Du finden nicht gut? Du gesagt: kurz!“ Ich nickte, konnte kaum sprechen.

Als ich wieder auf der Straße stand, kam ich mir richtig nackt vor und versuchte krampfhaft, meinen Kopf mit meinem Schal zu bedecken.

Von diesem Tage an trug ich meine Haare kurz und habe sie nicht länger wachsen lassen – und ich fühlte mich sehr wohl damit. Es war doch eine gute Entscheidung – jedenfalls für mich, fand ich immer wieder bei einem Blick in den Spiegel.

Man muss ja auch zu seinem Wort stehen und ich hatte
schließlich „Kurz!“ gesagt.
In den nächsten Jahren habe ich viele Kuriositäten in den verschiedensten Friseursalons erleben dürfen. Um ein Haar, es fehlte nicht viel, hätte ich mit nur einem Ohr meine Jahre verbringen müssen. Die junge Frau hatte wohl einen schlechten Tag, denn sie war einfach zu eifrig. Ihr Chef konnte das Schlimmste gerade noch verhindern und die Reinigung meiner schönen, weißen Bluse wurde mir natürlich bezahlt.

Heute ziehe ich meistens nicht gerade meine schönste Jacke an, wenn ich in die Stadt zum Friseur fahre, denn mir wurde schon zweimal die Jacke gestohlen! Das war jedes Mal ein teurer Friseurbesuch. Aber wie heißt es sinngemäß: „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen!“

Was es doch für haarige Geschichten zu berichten gibt – aber so ist es eben, das wirkliche Leben!

Marlis David