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28. Februar 2020

„Das Dorf in dem wir lebten…“

Teil Sieben für Niklas von Sascha Kluger

Die alte, verlassene Eisenfabrik – reizvoll, aber auch etwas gruselig

Die Fabrik
Die Zeit verging, Ingo fiel zwischendurch ins Wasser und wir kamen in die vierte Klasse. Das Coolste an der vierten Klasse war, dass wir nun die Ältesten auf dem Schulhof waren. Es gab niemanden mehr, der einen schubste, im Waschraum einsperrte oder erst wieder in Ruhe ließ, bevor man nicht mit seinem letzten Kaugummi oder Flummi bezahlte. Jetzt waren wir am Drücker. Eine tolle Zeit. Nur Anna küssen, das war noch immer nicht drin.

„Alter, wie siehst du denn aus?“

Pablo reagierte auf eine Art, wie er es tat, wenn er kurz davor war sauer zu werden.

„Was ist dein Problem, Mann?“
„Ist das nicht ein bisschen viel Haargel?“

Pablos tiefschwarze Haare waren zu fingerdicken Strängen verklebt, die wie Dornen in jede erdenkliche Himmelsrichtung standen.

„Das trägt man heute so, du Schlumpf. Du musst mal mit der Zeit gehen. Und unter uns: Inka-Mützen sind echt nicht mehr so der Renner.“
Damit traf er bei mir einen verdammt wunden Punkt. Da ich in den letzten Monaten immer wieder mit Mittelohrentzündungen zu kämpfen hatte, stülpte mir meine Mama jeden Morgen, bevor ich das Haus verließ, eine total dämliche Mütze über. „Und schön aufbehalten! Bis du wieder drinnen bist.“ Inka-Mützen sind bunt gestreifte oder gemusterte Wollmützen mit langen Bommeln dran, welche aussehen wie Zöpfe. Eine Mütze als solche fand ich schon schlimm. Diese Inka-Dinger empfand ich als demütigend. Nun war es nicht so, dass ich nicht mehrmals diesen Quatsch von meinen Kopf gerissen und in meinen Schulranzen gestopft hätte, sobald ich auf dem Weg zur Schule außer Sichtweite meiner Eltern war. Da das Dorf jedoch, wie Du ja weißt, sehr klein war und jeder jeden kannte, erfuhr meine Mama praktisch immer davon, wenn ich das getan hatte. Und das führte stets zu mächtig Ärger.

„Wo is´n Ingo, der Töffel?“
„Der tauscht mit Uwe Flash-Gordon-Sammelkarten hinter den Mülltonnen.“

Das Versteck hinter den Mülltonnen war nicht gerade das beste der Welt, aber ein sehr gutes. Dort war man nämlich vor den wachsamen Blicken der Pausenaufsicht sicher. Das war deswegen so wichtig, weil wir keine Flash-Gordon-Sammelkarten mit in die Schule bringen durften. Geschweige denn tauschen. Warum genau, weiß ich nicht mehr. Fußball-Sammelkarten waren okay, Flash-Gordon aber nicht. Dabei waren Flash-Gordon-Sammelkarten viel cooler. Ich selbst hatte sogar die seltene Karte #121, für die ich mindestens 15 andere hätte bekommen können. Aber das ist eine andere Geschichte.

„Der lässt sich doch bestimmt wieder abzocken, der Dödel.“
„Hab´ ich ihm auch gesagt.“ Pablo zwirbelte an einigen seiner Dornen herum, um sie etwas in Form zu bringen.
„Kameraden, Männer, das ist der Knaller.“ Ingo kam plötzlich auf uns zugeschossen. Er roch ein wenig streng. „Was habt ihr heute Nachmittag vor?“
„Warum?“ Bei Ingo hatte ich mir angewöhnt immer nachzufragen. Und dafür hatte ich meine Gründe.
„Heute Abend kommt ‚Ein Colt für alle Fälle‘. Aber sonst …“
„Ihr kennt doch die alte Fabrik hinter Herrn Augusts Laden, oder?“

Klar kannten wir die alte Fabrik hinter Herrn Augusts Laden. Jeder kannten sie. Es war das größte, spannendste aber auch gruseligste Gebäude im Dorf. ‘Moihak & Söhne Eisenwaren und Gesenkschmiede’ war auf einem verwitterten Blechschild über dem vernagelten Eingang des mehrstöckigen Gemäuers zu lesen. Der Bau mit roter Backsteinfassade war über und über mit Efeu bewachsen. Aus einem seiner Schornsteine wuchs sogar ein Baum.

„So, Leute, Uwe erzählte gerade, dass Svens Bruder, also Sven ist ja der Freund von Uwes älter Schwester. Die war ja bis vor kurzem noch mit Malte zusammen, aber ….“
„Komm´ mal auf den Punkt, Kollege.“ Pablo zwirbelte noch immer an seinen Haaren herum und schaute dabei irgendwie gelangweilt in den Himmel.
„Na ja, jedenfalls: Waffen.“
„Wie, Waffen?“, fragte ich und konnte Ingos Gesabbel nicht so recht folgen.

„Na ja, Waffen halt. Die soll es da geben. Gewehre, Pistolen, Messer, alles. Im zweiten Stock.“
„Ja und? Was willst du uns damit sagen?“
„Ist doch klar, Männer. Wir gehen rein, holen uns ein paar Waffen und gehen wieder raus.“
„Boah, Ingo“, hob ich an. „Alter. Denk´ doch mal an den Stress, den wir damals mit deinem Soldatenhelm hatten. Was meinst du, was deine Eltern sagen, wenn du denen zum Abendbrot ´n Gewehr auf den Tisch legst.“
„Ich will doch auch nur ein Messer.“
„Dir ist aber schon klar, dass das Diebstahl wäre?“, wand Pablo ein.
„Wieso denn? In der Bude passiert doch nichts mehr und dort ist eh alles kaputt.“
„Trotzdem gehört der Schuppen doch noch irgendwem.“
„Jo, Kamerad, aber das ist doch alles nur Müll, eigentlich.“
„Jo, K-a-m-e-r-a-d, ist aber trotzdem Diebstahl. Ich fingere ja auch nicht in deinem Ranzen ‘rum, nur weil er aussieht wie durch Schlamm gezogen und schnappe mir irgendwas raus, einfach weil da viel Quatsch drin ist.“
„Ketten, Murmeln und Steine kann man immer gebrauchen“, verteidigte sich Ingo.
„Kollege, es geht doch ums Prinzip.“ Pablo wurde langsam etwas ungeduldig. Das merkte man vor allem daran, dass er sich immer weniger mit seinen Haaren beschäftigte.

„Ehrlich gesagt finde ich die Idee ziemlich spannend“, sagte ich.
„Ihr seid doch bekloppt.“
„Zwei gegen einen. Wir haben gewonnen“, quietschte Ingo.
„So ein Dreck. Trotzdem: Das gibt ganz sicher Ärger. Sagt hinterher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.“
„Okay, wann treffen wir uns?“ Ich schaute meine Freunde fragend an.
„Um halb drei natürlich, wann denn sonst.“

Es war ein sehr trüber Nachmittag. Es hatte begonnen zu regnen und das fahle Licht ließ die alte Fabrik noch unheimlicher wirken, als sie ohnehin schon war. Ingo wartete bereits. Mit Rucksack und Schirmmütze stand er suchend umherschauend im Regen. Als er mich sah, winkte er hektisch. „Hiiiier, huhu“, quietschte er und gluckste vergnügt.

„Alter, wie siehst du denn aus? Du bist ja pitschnass.“
„Ist doch nur Wasser.“
„Ja, aber du hättest dir ja zumindest … oh, da kommt Pablo.“
„So, ihr Komiker. Dann sind wir ja wohl vollständig. Hier, für jeden eine.“ Pablo drückte uns jeweils eine Taschenlampe in die Hand. Sie waren schwer wie Blei und sahen auf den ersten Blick aus wie Schlagstöcke.

„Krass, Alter.“ Ich besaß selbst einige Taschenlampen, aber solche wie diese hatte ich noch nie gesehen. Ich begutachtete sie neugierig.

„Das sind unsere Zauberstäbe. Pulverbeschichtetes Aluminiumgehäuse, doppelt O-Ring-verdichter Aufsatz, korrosionsgeschützte Schalter, bruchsicherer Reflektor und im Notfall zur Verteidigung zu gebrauchen. Sei smart, kauf´ im Kay-Mart. Zu finden in der Sportwarenabteilung. Mein Papa hat fünf Stück davon. Man weiß ja nie. Hatte schon geahnt, dass ihr Dödel nicht an Lampen gedacht habt. Hier, damit könnt ihr die Teile am Gürtel festmachen. Junge, wie siehst du denn aus?“
„Wieso, was stimmt denn nicht?“ Ich war völlig überrascht. Eine Inka-Mütze hatte ich jedenfalls nicht auf. Andernfalls hätte ich mir die Frage erklären können.
„Man geht doch nicht mit ´nem quietschgelben Regenmantel zu ´nem Einbruch, Mann.“
„Was? Einbruch? Wer bricht wo ein?“ Ingo wurde ganz hektisch.
„Ja, hört mir denn überhaupt niemand mehr zu?“, fragte Pablo.

„Och, das klären wir später“, erwiderte ich. „Lasst uns mal loslegen.“
„Na dann, wo steigen wir ein?“ Pablo ging forsch voran und suchte die Fassade ab. „Macht mal hinne. Um halb sieben kommt ‚Ein Colt für alle Fälle‘, das will ich nicht verpassen.“
„Hast du die letzte Folge gesehen, Kamerad, wo die in den Urlaub fahren und dann nach Goldmünzen tauchen?“
„Ja, die war cool. Vor allem die eine Stelle, wo Jody mit ins Wasser geht.“
„Meinst du, das war echtes Gold?“
„Wie, echt? Klar war das echt.“
„Hey, ihr beiden. Wollen wir uns bitte mal auf das Wesentliche konzentrieren?“ Ich konnte nicht fassen, dass Ingo und Pablo nichts Besseres zu tun hatten, als im Regen zu stehen und über ‘Ein Colt für alle Fälle’ zu quatschen. Und das ausgerechnet an diesem wenig einladenden Ort.

„Hinten im Hof. Kommt mit, Jungs.“ Ich hatte das Gelände schon häufiger erkundet und kannte mich daher ziemlich gut aus. Den Plan, irgendwann einmal durch eines der offen stehenden Kellerfenster zu klettern, hatte ich schon häufiger. Jedoch alleine traute ich mich nicht.

„Mist, meine Frisur ist total im Eimer.“ Pablo griff in sein klitschnasses Haar.

„Hier, das ist die beste Stelle“, sagte ich und deutete in einen halb unter der Erde liegenden Raum, dessen Boden über und über mit verrosteten Zahnrädern, Schrauben, Muttern und anderen Metallgegenständen übersät war. Das Fenster war komplett aus den Angeln gebrochen.

„Da gehe ich nicht rein.“ Ingo wackelte von einem Fuß auf den anderen.

„Jetzt zick´ mal nicht rum. DU willst schließlich irgendso ein olles Messer haben.“ Pablo blendete Ingo mit seiner Taschenlampe. „Mist, meine Finger kleben voll.“
„Ich gehe vor.“ Ich fasste mir ein Herz, setzte mich auf den unteren Rand des Fensterrahmens und ließ mich langsam hinuntergleiten, bis meine Füße auf dem rostigen Unrat zum Stehen kamen. Es roch muffig. Ich schaltete die Taschenlampe ein. Um mich herum weiße, von Schimmel durchsetzte, nasse Wände und vor mir, direkt gegenüber meines Einstiegs, eine geöffnete Tür, hinter der ein vollkommen dunkler Raum lag. „Kommt, Jungs. Ingo, ich helfe dir.“ Ingo war noch immer der Kleinste von uns.

„Bah! Was für eine Sauerei.“ Pablo war nun auch unten angekommen und schaute sich angewidert um. „Was jetzt?“

„Na ja, irgendwo muss es hier doch eine Treppe geben“, meinte ich.

„Wenn die aus Holz ist, war´s das schon. Schaut euch mal diesen Schlamassel an. Und stinken tut das hier. Ätzend.“ Pablo war nicht nur sehr empfindlich, was sein Äußeres anging. Auch seine Nase war sehr sensibel.

Ingo stand noch immer direkt vor dem Fenster, durch das wir gekommen waren und wackelte nervös hin und her. „Ich gehe keinen Schritt weiter.“

„Pass ma’ auf, K-a-m-e-r-a-d“, fauchte Pablo ihn an, „ich hatte von Anfang an keinen Bock auf das alles hier. Ihr zwei Chaoten wolltet das so. Und ich bin mit dabei, weil ich so ein töften Freund bin. Du willst ´n Messer. Okay. Also rein da. Wir holen den Quatsch und dann geht es ab nach Hause. Wenn ich wegen dir ‘Ein Colt für alle …“
„Pssst,… habt ihr das gehört?“ Ich blieb wie angewurzelt stehen. Von irgendwo im Haus tönte ein Rumpeln, als würde etwas Schweres bewegt.

„Das sind bestimmt Zombies“, flüsterte Pablo und grinste dabei breit. Ingo stand noch immer da als würde er sich in die Hosen machen. „Waaas?“

„Lass´ dich nicht veräppeln“, beschwichtigte ich ihn, „der Lärm kommt bestimmt von Herrn Augusts Laderampe. Die ist doch gleich nebenan.“
„Hätten aber auch Zombies sein können.“
„Pablo, ich hasse dich.“ Ingo rückte seine Schirmmütze zurecht. „Na gut, Kameraden, Männer. Los geht´s.“ Entschlossen knippste er seine Taschenlampe an, leuchtete in den Nebenraum und stakste knirschenden Schrittes über den rostigen Schutt.

„Tja, so isser. Braucht immer den ganz speziellen Kick.“ Pablo grinste vergnügt.

Nebenan sah es nicht viel besser aus. Außer, dass zusätzlich noch ein paar Regale und Metallschränke herumstanden. Es war offensichtlich, dass wir nicht die ersten ungebetenen Besucher waren, die nach etwas Brauchbarem forschten. Ich fühlte mich gar nicht wohl und versuchte nichts zu berühren und so nahe wie möglich bei meinen Freunden zu bleiben. Das Schattenspiel, das die herumhuschenden Lichtkegel unserer Taschenlampen verursachten, ließ mich immer wieder erschrocken zusammenzucken, weil ich glaubte, jemanden oder etwas gesehen zu haben. Diesen Umstand konnte ich jedoch sehr gut verbergen. Ingos Angst war wie weggeblasen und Pablo war sowieso alles egal. So erkundeten wir langsam, aber sicher den Keller der alten Fabrik, bis wir endlich auf eine Treppe stießen, die nach oben führte. Entgegen Pablos Befürchtungen war sie nicht aus Holz, sondern gemauert und machte einen eher soliden Eindruck.

„Hat sich einer von euch Spaßvögeln eigentlich den Weg gemerkt? Ich nicht.“ Pablo wirkte etwas nachdenklich.

„Klar, Kamerad. Labyrinthe und Burgverliese sind nämlich mein Spezialgebiet.“
„Wollen wir´s hoffen.“ Pablos Sorgen waren in der Tat unbegründet. Neben vielen anderen Sonderlichkeiten zeichnete Ingo aus, dass er einen außerordentlich guten Orientierungssinn besaß. Eine Eigenschaft, die uns schon oft aus der einen oder anderen Schwierigkeit befreit hatte. Insofern ist es mir bis heute ein Rätsel, wieso er sich an das Versteck seines Soldatenhelms nicht mehr erinnern konnte.

„Wollen wir da wirklich hoch?“ Mir wurde zunehmend unheimlich zumute.

„Logo, zum Sieg vorwärts, Männer.“ Ingo sprang fast schon übermütig die Treppe hinauf. „Boah, das müsst ihr sehen, Kameraden“, hallte es von oben herab und so folgten wir ihm.

Der Raum war weniger ein Raum als vielmehr eine Halle. Die Decke war mindestens zwei Stockwerke hoch und mit aufwändigen Stuckornamenten verziert. Ich erkannte die von außen vernagelten Flügeltüren. Es musste sich um die Empfangshalle handeln. Auf dem Fliesenboden lagen allerlei Holz und Laub, gegenüber der Eingangstür hing ein riesiges Ölgemälde, das einen älteren Herren mit ungewöhnlich großem Schnurrbart und in einem komischen Hemd und Anzug zeigte.

„Das ist der olle Moihak. Cooler Style“, kommentierte Pablo.

„Woher weißt du das?“, fragte ich.

„Steht drunter.“
„Männer, das ist ja fast schon ein Rittersaal. Wenn das hier unser Clubraum wäre, das wäre sowas von cool.“ Ingo ließ begeistert seinen Blick und das Licht der Taschenlampe schweifen. „Da vorne sind Treppen nach oben. Zweiter Stock, hat Uwe gesagt.“ Ingo schoss die Stufen hinauf. „Mir nach.“

Mir war gar nicht wohl bei der Sache. Gerade als ich im Begriff war ihm zu folgen, vernahm ich erneut ein Rumpeln, gar so, als zöge jemand einen schweren Einkaufswagen durch das Haus. „Habt ihr das auch gehört?“
„Klingt, als kämen die Zombies immer näher.“ Pablo stand noch immer in der Halle und leuchtete wild mit seiner Lampe umher.

„Kameraden, das ist nicht witzig.“ Ingo blieb abrupt auf der Treppe stehen. „Das sind doch nicht wirklich Zombies, oder?“

Die Geräusche wurden lauter. Durch die Spalte einer von der Halle abgehenden Tür konnte ich Licht erkennen. „Ingo“, flüsterte ich ich, „komm‘ runter da, hier, zurück in den Keller.“
„Manno, manno, manno ….“ Ingo lief schnell und leider laut die Treppe herunter.

„Leute, ich habe ja gleich gesagt, dass das Ärger gibt.“ Pablo folgte uns und so lugten wir über die Schwelle der Kellertreppe hinauf in die Halle. Es wurde wieder leiser. Doch nun hörten wir Schritte, die sich uns näherten.

„Hast du die Folge gesehen, in der sie mit Motorrädern und Fallschirmen aus ´nem Flugzeug springen?“, flüsterte Ingo.

„Ja, klar. Staffel drei, Folge eins, ‘Die Teufelsinsel’. Die war cool“, erwiderte Pablo.
„Aber warum haben die das gemacht?“
„Weil sie es konnten.“
„Habt ihr´n Knall?“ Ich fand die Serie doof und das Gespräch irgendwie unpassend.

„HALLO? IST DA WER?“ Eine tiefe, fast schon bedrohliche Stimme hallte durch Ingos Rittersaal, so dass wir alle drei unwillkürlich zusammenzuckten. Wir hörten, wie knarrend eine Tür geöffnet wurde und danach dumpfe Schritte auf dem Fliesenboden. Durch das Licht aus dem Nebenraum geblendet konnten wir nur die Umrisse einer großen, rundlichen Gestalt erkennen, welche sich uns langsam aber stetig näherte.

„Scheiße, Kameraden, das war´s jetzt.“ Ingo fing fast an zu weinen.

„Hallo? Da ist doch wer. Zeig´ dich, du Strolch.“ Der Schatten hatte etwas Vertrautes an sich. Ich konnte ihn nicht richtig einordnen. Dennoch fasste ich mir ein Herz, stand zur Verwunderung meiner Freunde auf und rief: „Herr Diekmann? Sind Sie es?“
„Was machst du denn hier, du Gauner?“ Herr Diekmann griff seine weiße Mütze und kratzte sich am Kopf.

„Öhm, wir sind hier, weil …. weil ….“ Mir viel so schnell keine gute Ausrede ein.

„Ach nee, da sind ja noch mehr von der Sorte. Hallo Ingo, guten Tag, Pablo.“
„Ja also, wir wollten ….“
„Wir wollten Waffen holen“, unterbrach mich Ingo.

„Was wolltet ihr? Waffen holen?“ Herr Diekmann blickte uns gespielt böse an.

„Na ja, im zweiten Stock, da sind doch …“ Ich musste Ingo schnell unterbrechen, um Schlimmeres zu vermeiden.

„Was Ingo sagen wollte, ist, wir dachten, wir schauen uns hier einfach mal um.“
„Ihr wisst aber schon“, sagte Herr Diekmann, „dass das eigentlich Einbruch ist? Passt auf, Kinder. Ihr könnt doch nicht einfach irgendwo reingehen und euch umsehen. Das geht doch nicht.“
„Und was machen Sie hier“, fragte ich.

„Na ja, ich habe die alte Fertigungshalle gemietet. Als Lager.“
„Ich habe ja gleich gesagt, dass wir Ärger bekommen.“ Pablo war merklich angefressen.
„Keine Sorge, Kinder. Ich verrate niemandem etwas. Aber lasst euch hier ja nicht mehr blicken. Kommt, ich lasse euch hinten über die Laderampe ‘raus. Durch den Keller ist es viel zu gefährlich.“
„Wegen der Zombies?“ Ingo war fertig mit den Nerven.
„Nein, aber da unten liegt viel Gerümpel ‘rum. Da stolpert man schnell.“
„Herr Diekmann“, sagte ich, „Danke.“
„Ach, alles halb so wild. Ich habe als Kind doch auch alles erforschen wollen. Hier Jungs, für jeden ein paar Gummibärchen.“

Unsere Erleichterung war groß. Herr Diekmann begleitete uns noch vorbei an seinen Lagerbeständen aus Zementsäcken, Leichtbauwänden, einer Mischmaschine, diversen Stahlstangen, Aluminiumprofilen und Mauersteinen bis zu einer Art Garagentür, die direkt hinter Herrn Augusts Laden führte. „Erforscht mal lieber die Burgruine, die ist nicht so gefährlich.“

„Herr Diekmann, wie spät ist es?“, fragte Pablo.

„Ähm, halb fünf.“

„Cool, dann schaffe ich es ja noch rechtzeitig zu ‘Ein Colt für alle Fälle’.“

Jetzt möchtest Du bestimmt wissen, was danach passierte. Na gut. Aber ganz schnell. Herr Diekmann hielt Wort und erzählte niemandem etwas von dem, was in der Fabrik geschehen war. Ingo lag für fast zwei Wochen im Bett und musste eine ziemlich heftige Erkältung auskurieren. Pablo bekam von seinem Papa einen Videorekorder geschenkt, damit er nie wieder irgendeine Sendung verpasste. Und ich, ich durfte weiterhin Inka-Mützen tragen. Meine Flash-Gordon-Sammelkarten verschwanden irgendwann – auch die #121. Aber ich habe eine CD von „Queen“, da ist die Filmmusik drauf. Die spiele ich Dir bald mal vor.

Sascha Kluger