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9. Dezember 2020

Weihnachten 1946

Kurzgeschichte von Marlis David

Zünde eine Kerze an, das Licht der Hoffnung

Damals war der einzige warme Raum in der Wohnung die Küche. Dort stand der Herd, auf dem wurde gekocht, Wasser heiß gemacht, die Ziegelsteine für das Bett gewärmt.

Der Winter 1946 war extrem kalt. Im Schlafzimmer bildeten sich wunderschöne, bizarre Eisblumen an den Fenstern. Wir, mein Bruder und ich, saßen auf der Fensterbank, versuchten durch unseren heißen Atem und Kratzen mit den Fingernägeln das Eis zu entfernen, um einen Blick aus dem Fenster zu erhaschen. Mutter stand in der Küche und war gerade dabei den Teig für die Weihnachtsplätzchen auszurollen. Der Duft der ersten, fertigen Weihnachtskekse stieg uns in die Nase – herrlich! Wir hätten so gerne genascht, aber Mutter winkte energisch ab: „Davon bekommt ihr Bauchschmerzen, erst abkühlen lassen“, meinte sie besorgt.

Es war zwei Tage vor dem Heiligen Abend. Alles war so heimelig, die wohlige Wärme des Feuers im Herd, der Geruch der frischen Kekse, Kerzenschein, Tannenzweige. Mutter zeigte plötzlich aufgeregt zum Fenster: „Habt ihr eben die beiden Engel gesehen? Sie trugen das Christkind – wunderschön!“

Wir stürzten zum Fenster: „Wo, wo sind die Engel?“ Wir waren so gläubig, dachten noch den hellen Zipfel des Engelgewandes zu sehen.

Mit hochroten Wangen sprangen wir an diesem Abend in unsere eiskalten Betten. Mutter brachte, in Zeitungspapier eingewickelt, die heißen Ziegelsteine für die Füße. Schnell war der ganze Körper warm, wohlig kam der Schlaf – die Träume vom Weihnachtsmann, der wundervolle Gaben brachte.

Endlich war er da, der Heilige Abend. Mutter war den ganzen Nachmittag geschäftig im Wohnzimmer hin und her gelaufen. Dann wurde das Zimmer abgeschlossen. Wir versuchten, in einem unbeobachteten Moment, durch das Schlüsselloch einen Blick in das Weihnachtszimmer zu erhaschen, aber nichts, rein gar nichts war zu erblicken.

Wir saßen ungeduldig in der Küche, rutschten von einer Seite auf die andere. „Wann kommt er denn endlich, es ist doch schon ganz dunkel!“ „Er kommt von weit her und hat ja schließlich sehr viele Kinder zu bescheren“, ermahnte Mutter uns geduldig.

Plötzlich hörten wir ein lautes Poltern, kräftiges Klopfen an der Tür. Mit einem Satz sprangen wir unter den Küchentisch, zogen die Tischdecke noch ein Stückchen tiefer. Wir hörten, wie Mutter sich mit dem Weihnachtsmann unterhielt, ihn ins Weihnachtszimmer brachte. Uns schien es eine Ewigkeit, bis Mutter die Tür zur Küche endlich öffnete und sagte: „So Kinder, der Weihnachtsmann war da, er konnte nicht bleiben, er muss ja noch so viele Kinder aufsuchen.“ Mit weichen Knien krochen wir unter dem Küchentisch hervor.

Ganz langsam, an der Hand von Mutter, gingen wir dann in die Weihnachtsstube. Da stand er, unser Weihnachtsbaum, die Kerzen brannten, die roten Äpfelchen leuchteten in ihrem Schein. Das Zimmer sah so festlich aus. Unter dem Tannenbaum stand ein Holzpferdchen.

„Oh du fröhliche, oh du selige, Gnaden bringende Weihnachtszeit“, sangen wir ganz andächtig, wie Mutter es mit uns geübt hatte. Mutter weinte, sie umarmte uns ganz zärtlich, dachte an Vater, der 1943 gefallen war.

Erst Jahre später erkannten wir, wer vor unserer Tür polterte und mit tiefer, verstellter Stimme den Weihnachtsmann spielte. Das Holzpferdchen hatte damals die Kirche für uns gespendet. Später war Mutter oftmals sehr traurig, als die gläubigen Kindertage vorbei waren. „Viel zu schnell!“, klagte sie und wollte sich nicht damit abfinden.

Marlis David

 

 

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