Natur & Umwelt

29. September 2023

Entdeckungsreisen ins Ökosystem Wittmoor

VOM BIERBRAUEN BIS ZU BINSENWEISHEITEN

Angela Dreyer ist eine von 20 Moorführerinnen und Moorführern, die bundesweit erstmals von der Loki Schmidt Stiftung ausgebildet und Mitte Juli zertifiziert wurden.

„Moore sind ein faszinierendes, Universum und ein wichtiges Ökosystem, bei dem es sich lohnt, genau hinzuschauen“,  schwärmt die 61-Jährige. Als ausgebildete Natur- und Landschaftsführerin sowie Naturerlebnispädagogin liegt es der Poppenbüttelerin am Herzen, Menschen für ihre Umgebung zu sensibilisieren: „Denn nur, was man kennt, kann man auch schützen – und das ist dringend nötig.“

„Etwa 95 Prozent der Moorflächen in Deutschland sind entwässert, abgetorft oder werden landwirtschaftlich genutzt. Das ist alarmierend, denn sie bieten Lebensräume für hoch spezialisierte Pflanzen- und Tierarten und sind die größten und effektivsten Kohlenstoffspeicher auf der Erde, wenn sie intakt sind“, erklärt Timo Zeimet, Projektleiter der Loki Schmidt Stiftung, „Moore brauchen deshalb unseren Schutz. Dazu zählt neben der Renaturierung auch die Vermittlung von Wissen.“

Als Moorführerin bietet Angela Dreyer informative Rundgänge und Wanderungen durch das Wittmoor an, mit 106 Hektar eines der seltenen Hochmoore im Norden. Jahrhundertelang wurde hier von Bauern Torf als Heizmaterial gestochen. 1958 war damit Schluss. Bis zu acht Meter des über 10000 Jahre entstandenen Torfkörpers gingen auf diese Weise verloren. Ein riesiger Verlust, wenn man bedenkt, dass der Torfzuwachs nur ein Millimeter pro Jahr beträgt. Erst seit 1978 ist der Hamburger Teil Naturschutzgebiet, seit 1981 auch der schleswig-holsteinische Part.

„Ich möchte, dass die Menschen die Landschaft bewusst wahrnehmen, lernen, sie zu lesen – und das mit allen Sinnen“, betont Angela Dreyer und deutet auf ein unscheinbares Gewächs am Wegrand. „Das ist ein Gagelstrauch, der sauren Moorboden liebt. Bis ins 15. Jahrhundert wurde er bei uns im Norden statt Hopfen als Würze zum Bierbrauen verwendet. In Dänemark wird aus seinen Blättern ein Gewürzschnaps gebrannt.“

Gut zwei Stunden geht es auf alten Lorenwegen an blühenden Heidefläche und den Abbruchkanten der Torfstiche entlang und führt auch zum mystischen See, auf dem sich vor allem in der Dämmerung Enten und Gänse zum Übernachten sammeln. Wie ein flauschiger Teppich wirkt das Torfmoos am Rand. Eine beeindruckende Pflanze, die das 25-Fache ihres Eigengewichtesan Wasser aufnehmen kann. Doch die scheinbare Stabilität trügt. „Aus gutem Grund lautet ein Spruch: Siehst du einen Mann im Moore winken, lass‘ ihn sinken“, erzählt die Naturexpertin  augenzwinkernd.

Deutlich tragfähiger und schwungvoll ist das „Torf-Trampolin“. „Die Schwingungen, die andere durch ihr Hüpfen auf dem elastischen Boden erzeugen, zaubern so manchem Teilnehmer ein Lächeln ins Gesicht“, weiß Angela Dreyer und erklärt, was es mit dem Wort „Binsenweisheit“ auf sich hat. „Es gibt mehrere Bedeutungen. Eine ist, dass früher aus dem Mark der Binsen, die in Mooren wachsen, Dochte für Öllampen von Frauen gefertigt wurden, die sich bei der Arbeit viele Geschichten erzählten.“

Das Wittmoor als Standort der Extreme hat noch mehr Besonderheiten aus der Tier- und Pflanzenwelt zu bieten. Mit einem guten Fernglas kann man an einigen Stellen den streng geschützten Sonnentau finden. Die fleischfressende Pflanze ist nur wenige Zentimeter groß und fängt Fliegen und andere kleine Insekten mit ihren klebrigen Tentakeln. Größeren Individuen wie Hunden oder im hohen Gras spielenden Kindern können Kreuzottern gefährlich werden, denn die scheuen Schlangen injizieren ein blut- und gewebezersetzendes Nervengift. Ein Biss kann ernste Folgen haben, in schwerwiegenden Fällen ist eine Gegengiftgabe erforderlich. „Hunde gehören daher an die Leine, Zweibeiner tragen feste Schuhe und bleiben immer auf den Wegen“, mahnt Angela Dreyer, die auch Moorführungen für Kitas, Vorschul- und Schulklassen bis zur Oberstufe mit altersentsprechenden Experimenten anbietet.

„Wir haben mit dem Wittmoor einen wahren Schatz mitten in der Stadt, den es zu entdecken und zu schützen gilt“, bekräftigt die leidenschaftliche Naturführerin.
Rundgänge und Wanderungen bietet sie etwa am 18.11.23 über die VHS Hamburg (www.vhs-hamburg.de) an.

Claudia Blume