Zeitschrift

18. Januar 2022

Totes Feld (Teil3)

Rückblick: So endete Teil 2

Oliver

   Die Leinwand.

   Ich blieb abrupt stehen. Verwundert, staunend.

   Als ich gestern die Leinwand aufgestellt hatte, war sie leer gewesen. Jungfräulich, wie ich es bis zum ersten Pinselstrich immer nannte. Die Leinwand musste eigentlich vollständig weiß sein.

   Doch sie war es nicht. Etwas war darauf gemalt worden. 

   Einige Striche und Kreise. Zickzackformen. In schwarzer Farbe und mit ruhiger Hand.

   Jemand war hier gewesen. In meinem Haus.

   Vorhin, während ich Laufen war. 

   Oder in der Nacht, während ich geschlafen hatte.

   Mir wurde schlecht.

Teil 3

Oliver

   Ich hielt den Schürhaken des Kaminofens fest in der Hand, bereit, ihn im nächsten Augenblick als Waffe einzusetzen. Mit Anspannung und leiser Angst sah ich in allen Räumen nach. Niemand war hier. Anschließend schaute ich in alle Schränke und Schubladen. Nichts war durchwühlt oder durcheinandergebracht, nichts stand anders oder war zerstört, nichts fehlte. Selbst mein offen auf dem Sekretär liegendes Portemonnaie war nicht angerührt worden.

   War das denn zu glauben? Jemand war in mein Haus eingedrungen und hatte nichts mitgenommen, nichts gestohlen. Alles, was der Eindringling getan hatte, war, ein wenig auf der Leinwand rum zu kritzeln. Das konnte doch nicht wahr sein.

   

   Ich untersuchte die Haustür, die Terrassentür und die Fenster. Keine Einbruchsspuren. Ich verwarf den Gedanken, die Polizei zu rufen. Was hätte ich den Bullen erzählen sollen? Dass jemand, ohne Spuren zu hinterlassen, in mein Haus eingedrungen war, nichts geklaut und nichts zu Bruch geschlagen, sondern lediglich eine Leinwand beschmiert hatte? Alles klar, Herr Bremser – aber ansonsten ist in Ihrem Kopf alles in Ordnung?

   Nein, dachte ich und hängte den Schürhaken zurück in die Kamingarnitur, gar nichts in meinem Kopf war in Ordnung. Ich ging ins Atelier, stellte mich vor die Staffelei und blickte auf die Leinwand. Drei Striche, zwei Kreise, zwei Zickzackformen. Die Formen standen weit genug auseinander, dass sie einander nicht berührten. Auf der Ablage der Staffelei lag ein Pinsel, an dessen Naturborsten getrocknete schwarze Ölfarbe klebte. Ich wusste, dass ich diesen Pinsel weder jemals benutzt, noch ihn dort abgelegt hatte. 

   Hatte ich das wirklich nicht?

   

   Verdammt, iIch wusste es nicht mit Sicherheit. Möglicherweise hatte ich den Pinsel aus der Tasche mit den unbenutzten Pinseln genommen, Farbe aufgetragen und die Formen gemalt. Die Sache war nur, dass ich mich daran nicht erinnerte. Litt ich etwa unter Amnesie? Ich hätte schwören können, dass ich nach dem Aufstellen der Leinwand gestern Abend nicht mehr im Atelier gewesen war.

   Vielleicht schlafwandelte ich ja. Vielleicht war ich hin und wieder nachts während des Schlafens unterwegs und tat Dinge, von denen ich nach dem Aufwachen nichts wusste. Was, wie ich wusste, vor allem bei Kindern und gelegentlich auch bei Jugendlichen vorkam. Dass Erwachsenen während des Tiefschlafs das Bett verließen, war nur sehr selten der Fall.

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