Kultur & Unterhaltung

10. September 2020

Heimkino 1

Annekes (Ent-)Spannungstipps

Während der Norddeutsche sich langsam gemütlich auf den Herbst und seine stürmischen Wetterwechsel einstellt, während Covid-19 den Arbeitsalltag nach Hause verlegt, während die Welt vor orangefarbene Hunde in weißen Häusern geht, ergeben sich viele Möglichkeiten der Realitätsflucht in Film, Fernsehen, Literatur. Nun hat vielleicht der eine oder andere Gestresste endlich Gelegenheit Medienkonsum aufzuholen und ein, zwei Stündchen einem guten Film zu widmen. Hierbei muss es nicht einmal unbedingt etwas Neues sein – der Reiz liegt schließlich auch im Verpassten.

Fünf Zimmer Küche Sarg

Sie sind genervt von Ihren Mitbewohnern? Von Ihrer Familie, mit der sie den ganzen Tag verbringen? Dann stellen Sie sich vor, jene wären auch noch Vampire. In der charmanten neuseeländischen Horrorkomödie und Mockumentary Fünf Zimmer Küche Sarg von Jemaine Clement und Taika Waititi aus dem Jahre 2014 (im Original What We Do In The Shadows, mittlerweile auch eine TV-Serie des US-Senders FX) filmt eine fiktive Dokumentationscrew den Alltag von fünf Vampiren, die in einer WG zusammenleben und mit Romantik, Töten, Freundschaft, Abwasch, besessenen Vampirfans und Werwölfen zu kämpfen haben. Die beiden Regisseure und Drehbuchautoren finden hierbei die Balance zwischen Absurdität, Splatterfilmelementen und purer Freude.

Jojo Rabbit

Clement und Waititi sind etablierte Comedy-Größen: Für die grandiose und gefühlvoll-sensible Hitler-Persiflage Jojo Rabbit wurde Taika Waititi in diesem Jahr unter anderem sogar mit dem Oscar für das beste adaptierte Drehbuch geehrt. Die überzeugende Gradwanderung zwischen teils slapsticknaher Komödie und ehrlichem Gefühl zeichnet alle seine Filme besonders aus. Fünf Zimmer Küche Sarg, eine Empfehlung für Fans von Stromberg (oder seinen britischen und amerikanischen Äquivalenten The Office), Tucker & Dale vs. Evil, Shaun of the Dead und allgemein schwarzem Humor mit einer Prise Fantasie und Gefühl gibt es leider momentan nicht inklusiv bei Streaminganbietern, aber auf Abruf zum Beispiel bei Amazon Video. In Arbeit ist übrigens auch ein Sequel zum Film namens We’re Wolves, wieder unter der Leitung von Waititi und Clement.

Nach dem internationalen Erfolg von Bong Joon-hos Parasite ist das Interesse an dem vielseitigen und geschichtsträchtigen südkoreanischen Kino auch in Deutschland merklich gestiegen. Kurz vor Bongs meisterhafter Gesellschaftssatire (bei Prime Video im Abo enthalten) flog ein anderer großartiger südkoreanischer Film bei vielen deutschen Kinobesuchern trotz seines Erfolgs bei Kritikern unter dem Radar: Die Rede ist von Lee Chang-dongs Psychothriller Burning – der Film, der Toni Erdmann 2018 von der Position als von internationalen Kritikern bestbewerteter Spielfilm bei den Filmfestspielen von Cannes verdrängte. Die Handlung ist verzwickt und undurchsichtig, wird langsam und oft beinahe lautlos erzählt, doch verliert der Film im Verlauf seiner mehr als zwei Stunden Laufzeit nicht die Spannung und bewegt sich galant zwischen Genres, vom (Familien-)Drama mit romantischen Elementen zur Gesellschaftskritik zu Thriller und Mystery. Jong-su, der männliche Protagonist und Gelegenheitsarbeiter mit literarischen Ambitionen, trifft eine alte Schulkameradin wieder und verliebt sich in sie. Nach einem Aufenthalt in Afrika kommt Hae-mi jedoch in Begleitung von Ben zurück (dargestellt von Steven Yeun, der vielen Fernsehzuschauern aus The Walking Dead bekannt sein dürfte), einem charismatischen und reichen, aber schwer lesbaren jungen Mann.

Fight Club

Die folgende Handlung, gezeichnet von Jong-sus Versuchen der Wahrheiten Herr zu werden, schwebt zwischen Realität und den Zweifeln an jener, während sie die wahren Motivationen und möglicherweise abgründigen Taten von Charakteren offenbart und verschleiert. Dieser Film für Fans von Fight Club, Der Maschinist, Identität und der Netflix-Serie Extracurricular ist im Prime-Abo enthalten.

Who Am I

Zuschauer der international beliebten, fantastisch-komplexen deutschen Sci-Fi/Mystery-Serie Dark (produziert von und zu finden auf Netflix) werden auch ein früheres, ähnlich düsteres und spannendes, aber dennoch definitiv sehr anderes Projekt der beiden Filmemacher Baran bo Odar und Jantje Friese interessant finden: den Thriller Who Am I aus dem Jahr 2014. Gespickt mit reichlichen Anspielungen auf popkulturelle Phänomene und Erzählungen, und thematisch gebunden an beliebte Filmthemen und -motive wie Cyberaktivismus und psychische (In-)Stabilität, schafft es dieser Film dennoch, sich durch seine besondere Erzählweise, tolles Schauspiel und wendungsreiche Handlung zu behaupten. In Rückblenden wird erzählt, wie es dazu kam, dass der Hacker Benjamin in Haft genommen wurde. Der Außenseiter trifft auf eine Gruppe von Aktivisten, die ihn aufgrund seiner Programmierfähigkeiten rekrutieren. Als er zusätzlich Kontakt zu seinem Schwarm aus Schulzeiten aufnimmt, fühlt sich Benjamin erstmals als Teil einer Gruppe, doch wird sein neugewonnenes Selbstbewusstsein bald durch Unstimmigkeiten in der Gruppe, den BND, eine gegnerische Hackergruppe und seine eigene Psyche ins Wanken gebracht. Den Film finden Sie unter anderem im Stream bei Netflix.

Charade

Wer Audrey Hepburn und Cary Grant mag und die Ästhetik eines Hitchcock-Films mit einer romantischen, in seiner Absurdität absolut gelungenen Krimi-/Agentenkomödie im Screwball-Stil verbunden sehen will, der sollte sich Charade aus dem Jahr 1963 nicht entgehen lassen oder ihn sich gegebenenfalls nochmal ansehen. Ein Erfolg seinerzeit, ist dies ein höchst unterhaltsamer Film über eine Dolmetscherin, deren Ehemann (von dem sie sich ohnehin scheiden lassen wollte) auf der Flucht mit dem gesamten Besitztum des Ehepaares getötet wird, und die in der Folge von seltsamen Gestalten aufgesucht wird, die alle glauben, sie wisse, wo ihr Mann eine große Summe kriminell erstandenen Geldes verstecke. Voller Wendungen erzählt dieser lustige Film seine spannende Handlung. Er ist in deutscher Fassung im Prime Video-Abo enthalten. Die englische Originalfassung finden Sie bei YouTube oder on demand auf mehreren Plattformen.

Anneke Schewe