Kultur & Unterhaltung


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27. Februar 2020

Farbig durch das Jahr

„Hier wäre ein wenig Butter gut gewesen“. Die Kursleiterin kritisiert behutsam und fügt auch gleich ein Lob an: „Aber schön, wie du das Salz eingesetzt hast.“ Zustimmendes Kopfnicken in der zwölfköpfigen Runde, die Hinweise sind für alle nachvollziehbar. Und es soll ja auch etwas gelernt werden an diesem Wochenende. Hier wird allerdings nicht gekocht, Butter und Salz hin oder her, hier findet betreutes Malen mit Aquarellfarben statt. Die man sehr unterschiedlich fett oder mager anmischen kann, von der dünnen Konsistenz Tee über Kaffee, Milch und Sahne bis eben Butter: cremige Farbe direkt aus der Tube. Und streut man etwas Salz über den noch nassen Farbauftrag, gibt es einen interessanten körnig-fleckigen Effekt.

Gegen den Blues im dunkleren Halbjahr lässt sich allerlei unternehmen, vorausgesetzt, man unternimmt etwas. Getreu der maritimen Spruchweisheit, dass man erst dann etwas ansteuern kann, wenn man Fahrt macht. Für das Ablegemanöver ist jeder selbst verantwortlich. Das lässt sich nicht delegieren, so bequem es auch wäre. Nach dem Start aber entfaltet die Bewegung ihre Dynamik und eröffnet neue Chancen.
Entsprechend hoffnungsfroh geht die Gruppe (Frauenquote: 75 Prozent) in das Kurswochenende für Anfänger und Fortgeschrittene. Thema: „Maritimes im Herbst“. Vor den Atelierfenstern zeigt das Winterhalbjahr, zu welch rücksichtslosem Schmuddelwetter es fähig ist. Schauerböen treiben über die kahlen Felder, regengrau biegt sich das Buschwerk in den Knicks, von maritimem Flair keine Spur. Das besorgt eine Auswahl fotografischer Anregungen – sehr inspirierend, man möchte sofort Koffer packen und ans Meer. Die Stimmung ist bestens, denn es erinnert in der Malklasse rein gar nichts an die Art von lustbefreiter Schule, die früher mit dem Prinzip der ermahnenden Unterweisung manch einem die Freude an so schönen Fächern wie Kunst und Musik nachhaltig gegen Null gedreht hat. Auf den Seiten von „Stayfriends“, dem großen Schul-Portal der Ehemaligen, kann man entsprechende Erinnerungen aus Schülerzeiten lesen, leider. Aber inzwischen ist das sicher alles ganz anders geworden.

Architektur und Krimikunst
Zu Gast sind wir nicht bei irgendwem, sondern (Glücksfall!) bei der Künstlerin Ulrike Walther, die sowohl als Dozentin als auch an den Pinseln kompetent ist und einen bemerkenswerten Weg hinter sich hat: Die gebürtige Thüringerin entbrannte schon als Kind für die Malerei, ein Pelikan-Tuschkasten der Patentante wirkte als Brandbeschleuniger. Nach einem Architekturstudium an der Bauhaus-Universität in Weimar sowie in Glasgow arbeitete sie als Architektin in Italien, Österreich, Brasilien und im eigenen Land. Die Liebe zur Aquarellmalerei hatte Bestand und führte folgerichtig zur Architektur-Illustration. Vor einigen Jahren traf Ulrike Walther dann eine couragierte Entscheidung und arbeitet seitdem als freischaffende Künstlerin. Außerdem gibt sie Aquarell-Seminare, leitet einwöchige Malreisen für „artisttravel“, schreibt für die Fachzeitschrift „Palette und Zeichenstift“, arbeitet an Aufträgen und zeigt ihre Bilder in nationalen und internationalen Ausstellungen.
Tja, da wurde erfolgreich abgelegt, Fahrt gemacht und auf Ziele zugesteuert. Vielleicht haben viele von uns schon Bilder von ihr gesehen, ohne es zu wissen: Im ZDF-Krimi „Mord in den Dünen“ mit Anna Loos und Karl Markovics waren die von ihr beigesteuerten Aquarelle der Schlüssel, der zur Verhaftung des Täters führte. Ein Aquarell-Künstler als Mörder, das darf ja wohl nicht wahr sein.

Die kriminelle Energie der Malgruppe kann man getrost im 5-Watt-Bereich ansiedeln, sie erschöpft sich in einer elastischen Auslegung des Themas „Maritimes im Herbst“: Eine Teilnehmerin wird ihren Hund malen. Und der ist kein Seehund. Aber vielleicht liebt er ja dänische Strände. Und da das Bild in Blautönen ausgeführt wird, kann man das als „maritim“ gelten lassen.
Auf den großen Arbeitstischen im Atelier am Stadtrand ist das Zubehör aus Gläsern, Pinseln, Tuben, Paletten, Schwämmchen, Schmierpapier, Skizzenheft, Salzstreuern und etlichem mehr zu stimmungsvollen Stillleben arrangiert. Dazwischen Kaffeebecher – recht fahrlässig, irgendein Pinsel wird darin sicher noch landen. Nach einigen allgemeinen Übungen unter Anleitung macht sich jeder an sein Motiv. Zunächst wird es in einem kleineren Format einfarbig als Tonwertstudie angefertigt, um Klarheit über die Abstufung und Verteilung der hellen (Mischung dünner Tee) und dunklen (bitte mit Sahne) Partien zu gewinnen. Erst danach geht’s an das eigentliche Werk.

Hundred shades of blue
Bedenkt man die verschiedenen Farbkonsistenzen von Tee bis Butter und probiert auf unterschiedlich feuchten Papieren mit beispielsweise zwei Blautönen die möglichen Varianten durch, ergeben sich locker „hundred shades of blue“. Bei der Nass-in-Nass-Technik legen die Farben zudem ein ausgeprägtes Eigenleben an den Tag. Das ist durchaus erwünscht, jedoch nicht einfach zu steuern. Ein Übermalen misslungener Stellen ist bei der angestrebten Transparenz der Farben zumindest schwierig, ein Abwaschen mitunter zwar möglich, aber immer heikel. Für weiße Partien ist das Papier farbfrei zu halten, die Planung des Bildes muss sorgfältig betrieben werden und die Komposition „sitzen“, denn der jeweils gewünschte Feuchtigkeitsgrad des Papiers erfordert gefühlvolles und doch zügiges Arbeiten. All dies macht die Aquarellmalerei in den Augen der Dozentin zur Königsdisziplin. Würde man mit deckenden und übermalbaren Ölfarben arbeiten, gäbe es zwar sofort höchste Anerkennung von allen Seiten – aber warum eigentlich? Wer sich einmal den Eigentümlichkeiten der Aquarellfarben auf nassem Papier ausgesetzt hat und dabei mit einem einzigen unpünktlichen Pinselstrich die Wolken eines Nordseehimmels vermurkst hat, wird Ulrike Walther sofort zustimmen.

Versuch macht Freude
Dem Einsteiger wird zu Recht geraten, sich nicht gleich an gar zu komplexe Gemälde zu machen. Ein Blümchen oder eine kleine Landschaftsstudie tun es für den Anfang auch. Und sogar schon durch freies Spiel mit den Farben, ihren Vermischungen und Verläufen können Beginner Glücksmomente erleben und lernen dabei ihr Material kennen. Manche farblichen Effekte mögen zunächst überraschen. Es ist wie im richtigen Leben: Man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen, aber man kann auch anstreben, dass sie so kommen, wie man sie nehmen will. Jedenfalls lautet die Parole: Viel versuchen, viel aussortieren. So gehen Fotografen auch vor. Und die Versuchsbögen geben zumindest originelles Einwickelpapier für Geschenke ab – das hat man den Fotografen voraus.

Wer sich anregen lassen oder nur einmal seinen Augen eine Freude machen möchte, dem sei ein Blick auf die regennassen Stadt-Aquarelle von Ulrike Walther und auf Bilder von Künstlern wie Alvaro Castagnet und Josepf Zbukvic empfohlen. Ganz anders und ebenfalls sehenswert: Werke von Gunilla Ekemark. Abermals anders sind die Bilder von Klaus Meyer-Gasters, dem kalendarischen Begleiter vieler Apothekenkunden seit Jahrzehnten. Alles ist ruckzuck im Netz aufrufbar.

Hilfreicher Input der Kursleiterin wird gern mitgenommen.

Die Zeit im Kurs vergeht schnell, das ist zweifellos ein gutes Zeichen. Draußen sieht es immer noch so aus, als hätte der Farbenklau aus dem Kinderbuch ganze Arbeit geleistet, aber drinnen bleibt es bunt. Die Chefin hat in zwei Tagen jedem weitergeholfen und praktiziert zum Schluss eine wertschätzende Bildbesprechung. Sie weist auf Gelungenes hin, gibt guten Rat (der gar nicht teuer ist) und ermuntert uns nicht zu selbstkritisch zu sein. Dranbleiben, weitermachen, Erfahrungen sammeln. Und nach dem Winterhalbjahr rausgehen ins Freie, Stimmungen aufnehmen und in Bilder umsetzen. Ja, das klingt verlockend. Doch bis dahin wird der Anfänger vermutlich noch einiges an fragwürdigem Geschenkpapier produzieren, mit Tee und Sahne. Cum grano salis. Und das weitere Kursangebot wird im Auge behalten.

Wolfgang Wunstorf