Kultur & Unterhaltung

12. März 2025

Ukraine

Die ursprüngliche Karte der Ukraine, bevor der Angriffskrieg Russlands begann.

Die ursprüngliche Karte der Ukraine, bevor der Angriffskrieg Russlands begann.

Unterwegs auf heißen Pfaden

Das neue Jahr ist jung, so mag es noch angebracht sein, ein glückliches und erfolgreiches 2025 bei bester Gesundheit zu wünschen – besonders in einer Welt von Unruhen und Kriegen. Um uns herum politische, wirtschaftliche, finanzielle und gesellschaftliche Unsicherheiten. Doch wir lassen uns dadurch nicht lähmen! Wir werden dem Jahr mit Zuversicht begegnen. Kümmern wir uns um Lösungen, nicht um Probleme. Bleiben wir optimistisch! Und stimmen Fernando Sabino zu: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.“ Das werden, das müssen wir uns zurufen!

Ja, es waren Optimismus und Wissensdrang, die mich bewegten, ausgerechnet in die ­Ukraine zu reisen. Geplant war eine Lesung aus meinem Buch „Zwischen Hamburg und der Ferne“ im Goethe-Institut in Kiew … doch dann kam alles ganz anders:

Ein Flix-Bus brachte mich in 32 Stunden in die quirlige Hauptstadt Kiew mit seinen drei Millionen Einwohnern. (Allein um die zehn Stunden wurden wir an der polnisch-­ukrainischen Grenze aufgehalten.) Später im Hotel hieß es: „Können wir Ihnen ein Zimmer im sechsten Stockwerk anbieten oder lieber im Parterre?“ Der besseren Aussicht wegen, wählte ich das in luftiger Höhe. Als Sirenen heulten, hieß es: Bombenalarm. Luftschutzeinrichtungen seien aufzusuchen. Da war ich mit der Zimmerwahl nicht mehr so glücklich.

In der Lawrske Straße 16 befindet sich das Goethe-Institut, ein repräsentatives, gelb angestrichenes Gebäude. Herr Tsiur, der Lehrgangsleiter, empfing mich mit seiner Sekretärin im Foyer. Beide Einheimische, die ein gutes Deutsch sprachen. Sie zeigten mir die geräumige, fabelhaft ausgestattete Bibliothek, in der gewöhnlich Lesungen stattfinden. „Zur Zeit werden Sprachkurse nur online oder per Fernunterricht angeboten und durchgeführt. Aus Gründen der Sicherheit müssen wir Menschenansammlungen vermeiden,“ erklärte Tsiur. Etwas verlegen und kleinlaut gestand er, dass Lesungen derzeit nicht zu verantworten seien. „Der Krieg, das verstehen Sie doch!“, fügte er hinzu. Natürlich verstand ich das. Die Information kam nur etwas überraschend.

In der St. Volodymyr’s Kathedrale ist die tiefe Gläubigkeit der Ukrainer zu spüren.

In der St. Volodymyr’s Kathedrale ist die tiefe Gläubigkeit der Ukrainer zu spüren.

Schon mal im Land, disponierte ich um. Nie hätte ich erwartet, das aus der Ukraine-Fahrt ein Erlebnis von über zwei Wochen werden könnte! Erst einmal besuchte ich die wichtigen Sehenswürdigkeiten Kiews: das Höhlenkloster, die Mutter-Heimat-Statue, das Goldene Tor. In der St. Volodymyr’s Kathe­drale geriet ich in eine Messe und erlebte die tiefe Gläubigkeit vieler Ukrainer. Auf dem berühmten Maidan, dem Platz der einstigen Massenproteste, standen Panzersperren und auf einem fahnengeschmückten Areal wurde der gefallenen Soldatinnen und Soldaten gedacht. Ein Ort der Besinnung und Trauer, bisweilen vom Sirenengeheul gestört … Doch Kiews Geschäftigkeit ließ sich dadurch nicht beeindrucken.

„Die Proteste von damals,“ gemeint waren die schweren Auseinandersetzungen auf dem Maidan vor zehn Jahren, „waren eine Revolution der Würde und das Bekenntnis zu Westeuropa“, sagte mir ein Soldat im Kampfanzug, der gerade von der Front kam.

Zwei Tage später befand ich mich nach einer siebenstündigen Busfahrt in Odessa. Einst war der Ort am Schwarzen Meer eine der mondänsten Hafenstädte Europas. Ursprünglich eine griechische Kolonie. 1830 wurde der aus Frankreich geflüchtete Emmanuel Richelieu erster Gouverneur der Stadt. Und hier wirkte auch der von Zar Nikolaus I. verbannte Alexander Puschkin. Der berühmte Schriftsteller war rasch von dem Ort begeistert und verkündete: „In Odessa atmet man ganz Europa!“ – Ich atmete nur Staub und Ruß zerbombter Gebäude des letzten Beschusses! Beim russischen Raketenangriff waren viele Bewohner getötet und wichtige Anlagen zerstört worden.

Wieder nächtlicher Bombenalarm: Du drehst dich im Bett um und schläfst weiter.

William Sharp, einen pensionierten Richter aus Oregon, und den Arzt Justin Forster aus Boston traf ich an der Bar des Holiday Inn Odessa. William vertrat eine Hilfsorganisation aus seinem Wohnort Eugene. Er hatte ein stattliches Sümmchen an Dollar mitgebracht und war im Begriff, Hilfsgüter für Soldatinnen, Soldaten und Zivilisten im Kampfgebiet einzukaufen. Beide erschienen mir nach eine Weile des Aus- und Abfragens vertrauenswürdig. Also beteiligte ich mich tags darauf an den Einkäufen und der Verpackung von Medikamenten, Verbandszeug, medizinischen Geräten und Winterkleidung. Mit einem geliehenen Pick-up wurden die Güter transportiert.

 Ein jüngst zerstörter Teil Odessas

Ein jüngst zerstörter Teil Odessas

Unser Weg führte erst einmal gen Osten durch ein Gebiet weiter Steppen und brachliegender Weizenfelder, durch die einstige Kornkammer der früheren Sowjetunion, nach Cherson. Der Hafenstadt am Dnepr, wo Fürst Gregor Potemkin seine letzte Ruhestätte hat. Jener Potemkin, der seiner Zarin Katharina II. „Potemkinsche Dörfer“ vorgeführt haben soll. Cherson ist übrigens die Patenstadt von Kiel.

Der Ort war zuvor erobert worden. Neun Monate stand Cherson unter russischer Okkupation mit schlimmer Auswirkung! Bereits Homer (8. Jh. v. Chr.) beschrieb die um Cherson lebenden Kimmerier als wildes Reitervolk, am Eingang zum Hades, der Unterwelt, der ewigen Finsternis. Auch Herodot, Geschichtsschreiber aus der Antike (um 490 bis um 420 v. Chr.), ist in diesem Gebiet unterwegs gewesen. Auf seinen Spuren ging es für uns auf heißen Pfaden tiefer und tiefer in den Osten, in die „Finsternis“ hinein, in Richtung Donetsk.

Luftalarme wurden intensiver. Die Zerstörungen ringsum verheerender. Granateinschläge kamen näher. Ausgebrannte Panzer, liegengebliebene Militärfahrzeuge, zerstörte Häuser und Bombentrichter markierten unsere Strecke. Eine Strecke, die aus trichterübersäten Straßenabschnitten und unbefestigten Pfaden bestand. Ein Kontrollposten stoppte uns. Mit gemischten Gefühlen harrten wir der Ereignisse … Ein Wachhabender warnte vor der Weiterfahrt, erkannte schließlich unsere Absicht und ließ uns passieren.

Zwei Tage später mussten wir in dem Örtchen Chernihivka erneut halten. Dieser Posten war unerbittlich. Eine Weiterfahrt wäre unverantwortlich. Was einzusehen war. Irgendwo klinkte eine Drohne eine Granate aus, die in unmittelbarer Nähe explodierte. Hauptmann Yaroslav Kyrylo war ein umsichtiger Mann, der englisch, sogar einige Brocken deutsch sprach. Über unsere Lieferung war er hocherfreut und dankbar. Er versprach eine gerechte Verteilung an seine Leute und bedürftige Zivilisten. Beim Ausladen hatten wir ein gutes Gefühl.

Kyrylo trat zu mir und fragte, was denn der alte Mann so weit im Osten suche. „It’s not the right place for you.“ – „Ich bin ein neugieriger Journalist mit Helfersyndrom“, war meine Antwort. Er lächelt verschmitzt unter seinem Stahlhelm und meinte: „If you have sons, send them over.“ Als Vater von zwei Söhnen ging mir diese Hilfe dann doch zu weit!

Bevor wir die Rückfahrt antraten, saßen wir mit ihm, Hauptmann Kyrylo, und anderen Offizieren und Mannschaften der Kompanie in einem verfallenen Gebäude beisammen, diskutierten und spekulierten bis tief in die Nacht über den Ausgang des Krieges. Zwischendurch rumste es von nah und fern. Eine Kapitulation konnte und mochte sich niemand vorstellen, aber an einen Kampf bis zum Sieg über Putins Überfall glaubte auch keiner so recht. Wurden doch die Kräfte der Verteidigung an den Fronten von Tag zu Tag schwächer. Man schaut nun gebannt auf Trump und die Resultate aus kommenden Verhandlungen … Optimisten mögen Worte wie diese trösten: Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.

Wolf-U. Cropp

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