Rundblick

22. Juni 2020

Gedankenexperiment

Ihr Web zum (Bio-)Film

Teil 1

Liebe Leserin, lieber Leser, sollten Sie meinen Beitrag im vorigen Kreisel vergeblich gesucht haben: Es gab keinen. Ich hatte das Gefühl, es gäbe nur das Thema Corona. Und darüber sollte besser nur schreiben, wer wirklich etwas davon versteht. Heute ist Corona zwar nicht vorbei, aber Teil unseres Lebens geworden, und vielleicht haben wir gelernt, uns mit wissenschaftlichen Themen auseinanderzusetzen.

Daher: Was geschieht da eigentlich im Mund, dass Sie selbst und auch Ihr Zahnarzt ständig am Ball bleiben müssen, damit alles gesund bleibt?

Wir machen ein Gedankenexperiment: Sie kommen direkt aus der Zahnarztpraxis und haben eine professionelle Zahnreinigung machen lassen. Ab jetzt (natürlich nur in der Vorstellung!) stellen Sie Ihre Zahnpflege komplett ein. Was würde passieren?

Praktisch sofort nach der Reinigung legt sich eine hauchdünne Schicht von Proteinen aus dem Speichel auf die Zahnoberflächen (Pellikel). Sie wirkt als chemischer Schutz und Gleitmittel, kann aber auch von Bakterien besiedelt werden. Die ersten tun das schon nach wenigen Stunden.

Würden Sie sich, wie Ihre Vorfahren in der Zeit, zu der die Evolution uns hervorbrachte, im Wesentlichen von rohen Pflanzen und gelegentlich rohem Fleisch ernähren, würde diese raue Kost einen Großteil der Bakterien abstreifen, und auch die verbleibenden würden sich kaum vermehren, weil ihnen dazu der Zucker fehlte. Ihre Zähne würden sich zwar stark abnutzen, aber bis zum Alter von 35 Jahren, höher war die Lebenserwartung damals nicht, würden Sie klarkommen.

Sie aber haben sich angewöhnt, Ihre Nahrung zu kochen, wodurch sie weich und klebrig wird, und womöglich essen Sie auch ganz gern mal was Süßes. Darauf haben die Bakterien nur gewartet: Sie können sich vermehren, aus der dünnen Pellikel wird allmählich Zahnbelag (Plaque), der zunächst weich ist und langsam dicker wird. Jetzt gesellen sich nach und nach weitere Bakterienarten hinzu; sie bilden eine Symbiose, eine Wohngemeinschaft mit gegenseitigem Nutzen. Einige erzeugen ein klebriges Fasernetz, das den Zahnbelag von Tag zu Tag fester und dicker werden lässt, andere produzieren Säure, die den Zahnschmelz angreift. So etwas nennt sich Biofilm. Biofilme gibt es überall, wo es feucht ist: auf einem glitschigen Stein, in der schmutzigen Toilette, in der Kläranlage. Über 90 Prozent aller Mikroorganismen sind in Biofilmen organisiert.

Der Speichel könnte die Säure neutralisieren, aber der Biofilm verhindert, dass er zur Zahnoberfläche durchdringt.

Fortsetzung in Heft 42

 

Thomas Murphy

Thomas Murphy – wie macht man es richtig?